Alles oder nichts – Aller guten Spreewald-Gurken sind drei
Mit dem Spreewald-Marathon hege ich eine besondere Beziehung. Hier bin ich vor 4 Jahren meinen ersten Marathon gelaufen. Sicher nicht so erfolgreich wie gewünscht, aber die Marathon-Distanz hat mich seit jeher nicht mehr losgelassen. Im gleichen Jahr konnte ich in Berlin erstmals unter 3h bleiben. Danach kam aber erstmal eine schöpferische “Marathon-Pause”, erst ganze 3 Jahre später stand in Magdeburg wieder die 2 vor dem Komma. Zuvor hatte ich im April im Spreewald bei der 13. Ausgabe des Spreewaldmarathons versucht, eine etwas spezielle Wertung zu holen: bei der “Läuferkrone” werden der Halbmarathon am Samstag in Lübbenau (22km) und der Marathon am Sonntag in Burg zusammenaddiert. Im letzten Jahr bin ich beim Marathon ziemlich übel eingebrochen und gab meinen Podiumsplatz bei km30 an Phillip ab. Gewurmt hat es mich gewaltig, weil ich doch wußte, dass ich das besser hinbekommen sollte. Also stand der Entschluss fest: als Vorbereitung der kommenden Ultras im Mai kommt die Läuferkrone mit ihren 64,195km an zwei Tagen gerade recht. Und so meldete ich am Samstag um 08:15Uhr im Rathaus in Lübbenau für die Krone nach.
85,- waren abzudrücken – für die super Organisation und die vielen Kilometer in der schönen Landschaft eine absolut vertretbare Summe. Der 22km-Halbmarathon ist eigentlich nur eine Art Vorgeplänkel. Viel Zeit kann man auf der Distanz nicht herausholen. Immerhin wußte ich aus 2015, dass ich keine muskulären Nachwirkungen am Sonntag gespürt hatte. Also warum nicht einfach versuchen, offensiv loszulaufen? Ich hatte eine Zeit um die 01:24/01:25 im Kopf. Und der Rennverlauf spielte mir wie bestellt in die Karten: wir laufen in einer Dreiergruppe mit einem gemäßigten Schnitt von 03:50/km bis km11 zusammen. Im mittleren Abschnitt konnte man auf den unbefestigten Passagen schon erahnen, was der vergangene und nach dem Lauf noch aufkommende Regen für schöne schlammige Wege hinterlassen würde – beim Marathon geht es da nämlich gleich zweimal durch. Auf dieser Passage setzt sich Steven dann ab, Niels, der die ganze Zeit vorne geackert hatte, bleibt zurück und reißt sofort auch eine Lücke zu mir. Die Betonpiste geht es dann wieder zurück Richtung Lübbenau.
Viel passiert nicht mehr, ich laufe die Lücke zu Niels aber wieder zu und checke kurz ab, ob er denn auch morgen den Marathon machen will. “Ich bin 50!” schallt es mir entgegen und ich weiß, dass mir von ihm keine Gefahr droht. Auf dem Rückweg reiht sich dann Kanalbrücke an Kanalbrücke. Es fällt zunehmend schwerer, Tempo und Rhythmus aufrechtzuerhalten. Die ganze Zeit warte ich darauf, dass noch jemand von hinten heranfliegt, aber es tut sich – nichts. Dann geht es über die letzte Brücke und es hallt Applaus vom direkt danebenliegenden Café. Das hat schon was! Niels legt ein paar Sekunden zwischen uns und holt sich den zweiten Platz. Mich interessiert aber nur die Zeit: noch unter 01:24 stoppt die Uhr! Das sind 2:30min weniger als 2015. Aber der zweite anspruchsvolle Teil dürfte merklich Körner gekostet haben, ich zweifele, ob meine Taktik nicht schon jetzt zu abenteuerlich ist. Schlagartig setzt der Regen ein und ich verpasse durchs Umziehen sogar noch die Siegerehrung. Als ich dann den großen Pokal mit nach Hause nehme, freue ich mich doch diebisch über das Podium. Die Pflichtaufgabe ist geschafft, jetzt wartet die Kür am Sonntag!
Auch am Sonntag wiederhole ich nicht nochmal die Fehler aus dem letzten Jahr. Pünktlich und entspannt ziehe ich mich in der Turnhalle in Burg um, verpacke meine zwei Gels und plausche noch mit Milosz und Heiko. Auch den einen oder anderen Konkurrenten treffe ich noch, wohlwissend, dass keiner in der Lage sein sollte, den Marathon in meinem anvisierten Tempo zu laufen. Auch Phillip stapelt tief ob des schwachen Trainings im Winter. Was soll also schon schiefgehen? Ich weiß, dass ich gut vorbereitet bin und als der Startschuss fällt, laufe ich mit breiter Brust und dem Ziel los, dass ich heute diesen Pott mit nach Hause nehmen werde – koste es, was es wolle. Die ersten 500m heißt es, den Halben von gestern schnell loszuwerden, aber dann ist von Samstag kaum noch etwas zu merken. Vorne geht die Post ab, die schnellen Marathonis, Halb-Marathonis und die 10km-Läufer ziehen davon. Ist das Anfangstempo um die 4min/km jetzt “kontrollierte Offensive” oder mein Start ins Verderben? Ich weiß es nicht. Die letzten beiden Male hat es mich gekillt. Aber diesmal habe ich einfach das gute Gefühl, dass etwas anders ist. Besser, schneller, vielleicht erfahrener. Und auch der Kopf sagt in dem Moment, dass es genau so richtig ist.
Auf der ersten Runde hat man noch die Gesellschaft der Halbmarathonis, aber nach 20km werden die Läufer der 42,195km wieder in Richtung Norden geschickt. Dann wird es zunehmend einsam. Zu dem Zeitpunkt weiß ich nicht, dass es soviele schnelle Flitzer vor mir gibt. “Platz 5 oder 6” wird mir zugerufen, d.h. eine vordere Platzierung wird beim Marathon heute nicht drin sein. Na und sage ich mir, ich habe ein anderes Ziel. Bei km23 habe ich einen kurzen Hänger, doch die applaudierenden entgegenkommenden Walker muntern mich wieder auf. An den Verpflegungspunkten werde ich immer 50m vorher gefragt, was ich denn trinken möchte: “Cola”, “Wasser”, “Iso”? So verliere ich kaum Zeit – ein ganz großes Lob gebührt allen Helfern dafür. Am 28km-Schild kommen die Erinnerungen an 2012 hoch. Hier war fast Endstation damals. Heute verschwende ich keinen Gedanken an eine Gehpause. Ich will diesen Pott! Km30: hier kassierte mich Phillip 2015. Der matschige Boden kostet jetzt einige Kraft, aber mit den ATR2 Hokas habe ich heute ideales Schuhwerk. Nach dem Lauf sehen wir alle wie nach einem Hindernislauf aus. Die letzten 10km brechen an. Natürlich werden die Beine jetzt schwer. Wer etwas anderes behauptet, ist kein normaler Mensch. Der Schlürfschritt setzt ein. Ich laufe langsam an einen Läufer vor mir heran. Auch wenn es nicht mehr nötig gewesen wäre: ein weiteres gutes Zeichen, dass heute alles passt. Bei km35 gehe ich vorbei. Wann kommt der Mann mit dem Hammer? Oder schaut er überhaupt noch vorbei?
Er tut es nicht. Sonntags hat man ja auch andere Dinge zu tun. Die Strecke ist mir aus den Vorjahren gut in Erinnerung. Die beiden Herren mit den Ferngläsern bei km39 können mich aufgrund der Nachmeldung nicht zuordnen – geschenkt. Die 300m-Wendeschleife ist nochmal eine Probe für den Kopf, die mich heute nicht mehr beeindrucken kann. Ich klatsche René ab, wohlwissend, dass ich jetzt schon eine halbstündige Kahnfahrt machen müßte, um das Ding noch aus der Hand zu geben. Bei der letzten Abzweigung verliere ich kurz die Orientierung, Sören nutzt die Gelegenheit und geht vorbei. Dann folgen 500m tiefster Matsch. Die starken Regenfälle haben den Weg ordentlich zugerichtet und nicht zuletzt die vielen Halbmarathonis haben ihren Teil dazu beigetragen. Aber das paßt irgendwie zu diesem Lauf und diesem Tag. Dann geht es endlich auf die Zielkurve zu. Ich höre die Rufe von Amrei, weiß, dass die Schlacht erfolgreich geschlagen ist und freue mich wie ein kleines Kind als es über die Ziellinie geht.
FINISH. GEKÄMPFT. ZIEL ERREICHT.
Mit der 02:56 bin ich hochzufrieden, auch wenn ich hintenraus noch etwas verloren habe. Drei alkoholfreie Biere genehmige ich mir.
Das muss ich erstmal sacken lassen. Im Grunde lief das Wochenende genauso, wie ich es mir vorher ausgemalt hatte. Sicher war die Konkurrenz diesmal weniger stark als vor einem Jahr. Wichtig war mir aber meine persönliche Leistung, wofür es denn auch immer im Feld gereicht hätte. Ich habe mein Bestes gegeben und nichts anderes zählt für mich. Wenn andere schneller sind, dann akzeptiere ich das und gratuliere. Hier bin ich mit dem zufrieden, was ich geschafft habe (und das kommt nicht oft vor). Sich ein (großes) Ziel zu setzen, kontinuierlich und beharrlich dafür zu arbeiten und sich am Ende die Belohnung abzuholen – was gibt es Schöneres?
Das ist also eine der Geschichten, die das Laufen in meinem Leben schreibt und die mir für immer in bester Erinnerung bleiben wird.