Faszination Trailrunning beim O-See Ultratrail
Es war gegen 13:30 an einem dunklen und verregneten Samstag-Nachmittag im Oktober im Zittauer Gebirge, als ich am letzten Verpflegungspunkt des Tages angekommen war. 45km waren gelaufen, hinter mir lag der Anstieg zum Hochwald, eine sehr felsiger Aufstieg, bei dem ich alles mobilisieren musste, was ich noch in mir hatte. Viel war es nicht mehr. Ich gönnte mir einen warmen Tee und der Betreuer bewunderte meinen Becher: “das ist wirklich der beste Becher, den ich hier heute bisher gesehen habe!”. Recht hatte er, schließlich habe ich diesmal den gelben Mauerweg-Becher eingepackt und nicht auf die winzigen und unhandlichen Trinkbecherchen gesetzt, die man sonst bekommt und die keiner Brühe oder Suppe wirklich standhalten können. Natürlich kommen wir ins Gespräch und auch mein Mauerweg-Finish von diesem Jahr bleibt nicht unerwähnt. Es war eines von vielen sehr netten Gesprächen, die ich an diesem Tag hatte. Meine erste Teilnahme am O-See Ultrail – es war mir ein innerer Vorbeimarsch, so sehr habe ich diesen Vormittag auf den Trails des Zittauer Gebirges an der Grenze zu Tschechien und Polen genossen.
Spontan hatte ich mich unter der Woche kurz vor Anmeldeschluß in die Starterliste des 50km-Rennens eingetragen. Auch 65km waren im reichhaltigen Trail-Angebot, aber ich blieb “vernünftig” und meine Wahl sollte sich als goldrichtig herausstellen. Da der Start erst um 08:00 erfolgte, genügte mir eine Anreise am frühen Morgen. Aber warum eigentlich noch ein Ultra nach den Highlights der Saison mit Mauerweglauf und Transalpine Run? Was soll ich sagen: ich hatte einfach Lust drauf. Lust auf Draußensein, Lust auf schöne Trails, Lust auf coole Menschen, die die gleiche Leidenschaft teilen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil – die Professionalität des Events, die Top-Organisation, die einzigartige Landschaft und nicht zuletzt die entspannten Helfer und Teilnehmer – haben mich wahrlich begeistert. Als ich gegen 15:00 den Parkplatz an der Sporthalle im wunderschönen Oybin wieder verließ, war ich mir sehr sicher, dass das ganz sicher nicht das letzte Mal war, dass ich an der Veranstaltung teilgenommen habe.
Zugegeben, ein wenig habe ich im Vorfeld mit einer vorderen Platzierung geliebäugelt. Aber als ich gesehen habe, wie die Jungs den ersten Anstieg nach oben geflogen sind, hatte sich das Thema schnell erledigt. “Vielleicht sammele ich noch ein paar hintenraus ein”, dachte ich mir. Um es vorwegzunehmen, auch hier war nur der Wunsch Vater des Gedankens. Die Spitzengruppe wird mir am Ende über eine Stunde voraus sein und läuft in einer anderen Liga. Ich bleibe (gezwungenermaßen) vernünftig und mache mir bewußt, dass die 50km nun auch keine Kurzdistanz sind und ich nicht gleich am Anfang die wenigen taktischen Zwänge über Bord werfen sollte. Und auch die Strecke hat großen Anteil an meiner Entscheidung. Hier steht Trail drauf. Und es wird Trail geboten. Forststraßen, Asphalt, Waldautobahnen – nichts davon bekommt man hier zu Gesicht. Die Anstiege sind ordentlich verblockt und steil, es geht über viele Treppen (Natur und künstlich) und auch die Downhills haben es in sich. Das viele Laub verdeckt die Steine und man traut sich kaum, richtig zu beschleunigen, ohne auf einem der Steine auszurutschen oder umzuknicken. Das Ganze beeindruckt mich doch etwas und ich gestehe mir ein, dass ich die Strecke unterschätzt habe. Solch eine technische Strecke hätte ich in unseren Mittelgebirgen nicht erwartet. Es ist ein ständiges Auf und Ab, vorbei an vielen Felsen und wunderschönen Wegen. Und wenn auch das Wetter mitgespielt hätte, die Ausblicke wären ein Traum gewesen. Leider regnete es seit dem Start durch und es wurde nicht so richtig hell. Ich sollte meine Regenjacke über die gesamte Zeit nicht mehr ausziehen. Der Blick war vernebelt, mein Kopf war es nicht.
Ich bin einige Kilometer unterwegs und verlaufe mich an einer der Treppen das erste Mal. Ich muss einen kleineren Anstieg wieder hoch und kurz darauf auf dem Downhill meinen Verfolger passieren lassen. Wieviel Risiko ist heute vertretbar? Die Downhills machen Spaß und ich habe das Gefühl, dass die Erfahrungen vom Transalpine Run mir hier zugute kommen. Trotzdem muss man vollste Konzentration aufbieten, um nicht zu stürzen. Ich habe das Gefühl, dass es an allen Sehenswürdigkeiten im Zittauer Gebirge vorbeigeht und mache nach 15km die ersten Fotos. Dass noch Potential nach vorne vorhanden ist, bezweifele ich zu dem Zeitpunkt schon stark. Beeindruckend, was manche hier auf die Trails zaubern. Den nächsten Verpflegungspunkt erkennt man schon von Weitem durch die große Feuerstelle. Es ist so gemütlich und urig, dass man am liebsten länger dort verweilen würde. Aber meine Taktik setzt auf die Eigenverpflegung und ich lasse bis zur Hälfte alle Stationen links liegen. Später halte ich nur für die Getränke an. Das klappt gut.
Es geht über den Buchberg, auf dem ich vor vier Jahren mal ein Segment erstellt habe und das Gipfelschild wiedererkenne. Es ist auch der letzte längere Anstieg, den ich noch hochlaufe. Ein ständiges Up and Down erlaubt es partout nicht, sich einmal länger zu erholen. Bis auf die tollen Helfer unterwegs bekomme ich nicht viele Menschen zu Gesicht. Ich begegne Frank aus Berlin, der mich sofort erkennt und wir plauschen kurz. Ich überhole nicht und werde auch nicht überholt. Es muss kurz hinter der 30km-Marke gewesen sein, als Stefan heranläuft. Wir kommen gut ins Gespräch. Er ist etwas stärker beim Uphill, ich komme etwas fixer herunter. Auf einem der Downhills stürzt hinter mir eine Teilnehmerin, zum Glück passiert nichts. Wir walken gemeinsam zur Lausche herauf, die Sicht ist auf dem höchsten Punkt der Strecke gleich Null, man sieht nichts. Und auch der Downhill zum nächsten VP ist tricky. Das Laub, die Steine, die Nässe – eine suboptimale Kombination. Dennoch ist die Stimmung am VP gut, es laufen sogar noch weitere Läufer auf. Ich schätze zu dem Zeitpunkt (nach 4h 30m), dass wir für die 15km noch ca. 2h benötigen werden.
Es geht über den Kammweg an der Grenze zu Tschechien, die Strecke wird nun immer matschiger aufgrund des Dauerregens. 1800 Höhenmeter stehen schon auf der Uhr, aber es geht munter weiter über felsige Aufstiege und Treppen. Sind wir hier im Märchenland? Es scheint so. Ich muss die Zähne fest zusammenbeißen, um noch halbwegs anständig vorwärtszukommen. Pavel zieht vorbei und macht einen entschlossenen Eindruck, hier nicht mehr nachzugeben. “Was für ein Brett” denke ich mir mehrfach. Meine im Voraus anvisierten 5,5h muss ich nun beerdigen. Nach 40km und 2000 Höhenmetern geht es im Nebel den letzten Anstieg hoch. Das ist zumindest meine Hoffnung. Natürlich täusche ich mich. Der Hochwald wartet noch auf uns. Und der zieht nochmal richtig rein. Wir klettern über ein dichtes Steinfeld zum zweithöchsten Punkt des Tages. Ich habe vollends genug der Höhenmeter und krieche förmlich nach oben. Am VP bei km45 kommt Stefan wieder heran. Wir sind uns einig, dass wir die letzten 5km auch noch packen. Der Downhill erinnert mich ein wenig an die Gran Canaria-Rutschpartie, aber ich komme gut herunter ohne zu stürzen. Die letzten 2km sind dann fluffig zu laufen, endlich kann ich auch nochmal beschleunigen. Und dann kommt auch schon der überdimensionale La Sportiva-Zielbogen in den Blick. Aus. Vorbei.
Mir fällt partout nichts ein, was man an dieser Veranstaltung kritisieren könnte. Für das Wetter kann nun wirklich keiner was. Aber was hier auf die Beine gestellt wird, beeindruckt mich. Alles ist sehr professionell, die Menschen sind sehr herzlich und hilfsbereit. Da können sich einige Veranstalter eine Scheibe abschneiden. Wie schrieb David als Kommentar auf meinem Strava-Post: “die Strecke ist so schön wie sie schwierig ist.” Der O-See Ultratrail: ein wirklicher Geheimtipp für alle Trail-Liebhaber! Ich komme wieder, keine Frage.