Vom Strausberger Platz nach Strausberg – eine verunglückte Marathon-Premiere
Ein Marathon zum Abschluss des ersten Halbjahres 2015 sollte es noch sein. Nur ist die Auswahl an schönen und auch halbwegs erreichbaren Marathons nicht so üppig, wenn es auf den Hochsommer zugeht. Mit etwas Bauchschmerzen entschied ich mich vor drei Wochen für die Premiere des Strausberg-Marathons, welcher in die 775-Jahr-Feier der Stadt Strausberg am Rande von Berlin eingebettet war. Schon die Strecke warf einige Fragezeichen vorher auf: Start in Berlin am Strausberger Platz (dieser liegt in Friedrichshain, nicht weit vom Alexanderplatz entfernt, also recht citynah). Ziel sollte am Flugplatz in Strausberg sein, womit eine Punkt-zu-Punkt-Strecke, die 14km über die Haupteinfahrtstrasse im Berliner Osten führt, tatsächlich angedacht war! Man kann nicht sagen, ich war nicht gewarnt. Trotzdem hielt ich an dem Start fest, habe ich doch “berlin-läuft” als professionellen Veranstalter in Erinnerung.
Es ist Sonntag früh um 7Uhr, als sich die überschaubare Anzahl an Marathonis am Strausberger Platz für den Start bereitmacht und den ersten Ansagen des Moderators lauscht. Dieser verkündet sogleich, dass der Marathon auf dem Berliner Stadtgebiet als Demonstration angemeldet ist und ein freies Laufen und somit schnelle Zeiten heute nicht möglich seien, weil die Strecke nicht gesperrt sei. Den Anweisungen der Polizei, die vorneweg fährt, sei unbedingt Folge zu leisten, ein Überholen in jedem Falle zu vermeiden. Zu diesem Zeitpunkt war die neue Bestzeit bereits gestorben. Aber wenn man schonmal um 4 aufsteht, verläßt man den Ort des Geschehens auch nicht freiwillig. Eventuell ist ja wenigstens eine gute Platzierung möglich!? Bevor es losgeht, treffe ich noch Matthias von den Vegan Runners. Pünktlich um 8 gibt es einen fliegenden Start. Das hat man auch nicht bei jedem Marathon. Es geht wie vorhergesagt sehr entspannt auf die ersten Kilometer.
Das Tempo pendelt sich bei ca. 04:30-04:45 ein (und nicht wie angekündigt auf 4,2min). Genug Zeit, um noch bequem zwei P-Pausen einzulegen und danach wieder an die Spitze ranzulaufen. Die Strecke hat so gut wie gar keinen Charme, schon die Fahrt mit dem Auto ist höchst eintönig und Zuschauer sind an einem frühen Sonntagmorgen auch nicht zu erwarten. Das wusste ich zumindest vorher. Nur ein paar ungläubige Blicke der Brötchenholer können wir ernten. Das nächste “Highlight” lässt nicht lange auf sich warten: kurz hinter dem Tierpark-Tunnel wird das Feld angehalten. “Kurze Stops seien aufgrund des kreuzenden Verkehrs möglich”, so stand es in den Teilnehmerinfos. Aber wir standen dort geschlagene 10min! Den meisten wurde schnell kalt und auch der Gang zum Gebüsch konnte nur wenig Zeit überbrücken. Ein Verpflegungspunkt war hier wohl nicht vorgesehen. Die Zeit war schon komplett im Eimer, als es endlich weiterging. Wieder nur knapp unter 5min/km. Die Spitze scharrte langsam mit den Hufen, aber man sollte nicht versuchen, einem Polizisten zu erklären, dass 04:30 und 04:15 einen wesentlichen Unterschied machen. Sicher war das eher ein “Luxusproblem” der schnelleren Leute, manche aus dem hinteren Feld bekamen den Stop überhaupt nicht mit. Aber ein Marathon mit Zwangsstop – ist das noch ein regulärer Wettkampf? Kann man so mit Teilnehmern umgehen, die manchmal monatelang auf solch einen Lauf trainieren?
Als wir uns der Stadtgrenze nähern, wird es schleichend schneller. Die fixen Jungs sortieren sich vorne ein und als wir endlich in Mahlsdorf von der B1 abbiegen, ist die Tempobremse ausgeschaltet. Tobias und Stephan kontrollieren das Feld scheinbar mühelos und werden sich später die ersten Plätze nicht mehr nehmen lassen. Doch was passiert dahinter? Zunächst geht es in einem Tempo knapp unter 4min/km weiter. Ich kann noch relativ problemlos folgen, der nächste Zwischenspurt der beiden reißt dann aber die erwartete Lücke. Christian, der mit Fahrradbegleitung unterwegs ist (was bei den wenigen Teilnehmern problemlos geht), eilt hinterher. Ich rechne ihm kaum Chancen nach vorne aus, zu stark sind Tobias und Stephan. Das Tempo sieht für beide eher nach Warmlaufen aus als nach einem schnellen Marathon. Und so finde ich mich als Vierter wieder, als es auf die Strassen durch Hoppegarten, Neuenhagen und Altlandsberg geht.
Die Jungs vorne sind schnell aus meinem Blickfeld verschwunden. Auch von dem 5. hinter mir ist nichts mehr zu vernehmen, es wird einsam. Mein zweites Gel nehme ich bei km25, die Verpflegungsstationen sind so weit auseinander, dass ich bei den steigenden Temperaturen schnell Durst bekomme. Ich halte daher jedesmal an und trinke in Ruhe, auch wenn es Sekunden kostet. Aber was kann ich schon noch gewinnen? Weder Bestzeit noch Podium sind mehr machbar. Meine Motivation, das Tempo weiter hoch zu halten, verschwindet in der Einöde der vielen Brandenburger Felder, die den Weg kreuzen. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass es ständig bergauf geht. Vereinzelt stehen jetzt Zuschauer an der Strecke, ich klatsche die Kids ab, um der Monotonie wenigstens etwas zu entkommen. Das Verhältnis Helfer/Zuschauer neigt sich mehr und mehr der 90/10-Marke. Verlaufen kann man sich immerhin nicht, da an jedem kreuzenden Weg jemand aufpasst. Teilweise müssen die Autos an den Kreuzungen extra für mich aufgehalten werden. Hat schon was von VIP-Status.
Als es bei km35 dann nochmal in den Wald geht, ist mein Tank ziemlich leer. Ich stolpere über die gut markierten Wurzeln und reihe mich dann bei km37 in das Feld der 7,75km- und Halbmarathon-Läufer ein. Nur wenige nehmen wahr, dass die Marathonis jetzt mitlaufen. Vereinzelt wird mir beim Überholen Beifall gezollt (“oh der läuft den Marathon!”). Im Grunde ist es mir sogar recht, dass ich nicht mehr so alleine laufen muss. Es geht durch Strausberg durch, vorbei am schönen Straussee. Ich sehe Kira von den Vegan Runners, das sogar zweimal, weil ich am letzten Verpflegungspunkt gleich drei ISO-Becher in mich reinschütte und verschnaufen muss. Dass mich Christoper überholt, bekomme ich noch gerade so mit. Mir ist es ziemlich gleich. Ich bin durch und kann den letzten Anstieg bei km41 nur noch hochgehen. Schon ulkig, wenn man von Halbmarathonis dann noch mitleidig angefeuert wird: “Komm’, da vorne ist das Ziel!”. Tja, das muss man dann eben durch. Irgendwann ist aber jeder Marathon zuende. Am Flugplatz stehen viele Zuschauer. Die Zeitnahme erfolgt 200m vor dem Zielbogen. Warum, bleibt das Geheimnis des Veranstalters (wahrscheinlich wäre die Strecke sonst zu lang gewesen). Am Ende wird es ein fünfter Platz mit netto 03:11:13.
Kira und Matthias sehe ich nach dem Duschen wieder. Auch Matthias ist wenig erbaut über den Verlauf des Marathons, sieht es aber recht locker. Wie fällt das Fazit aus nach dieser sehr durchwachsenen Premiere? Dass hier ein Marathon veranstaltet wurde, der auf einer teilweise nicht abgesperrten Strecke unter dem Deckmantel einer Demonstration stattfand, ist aus Sicht der betroffenen Teilnehmer ein großes Versagen. Damit stösst man jeden ambitionierten Läufer vor den Kopf. Manch einer trainiert eine lange Zeit auf solch ein Event hin und muss dann damit leben, “aus Sicherheitsgründen” 10min warten zu müssen und 10km lang eingebremst zu werden. Bestzeiten waren damit unmöglich, ein konstantes Tempo wurde verhindert. Allein dieser Makel muss ausreichen, um den Teilnehmern wenigstens einen Teilbetrag der stolzen 77,50,-! zu erstatten. Diese Gebühr steht in keinem Verhältnis zu der gebrachten Leistung. Hier hat man sich scheinbar deutlich verkalkuliert und sollte kulant den Läufern gegenübertreten, um den bisherigen guten Ruf als Veranstalter auch zu behalten. Ich bin gespannt, wie diese Kulanz aussehen wird (Update folgt, immerhin wurde jetzt auf die Beiträge auf Facebook reagiert). An den vielen eifrigen Helfern an der Strecke und im Start-/Zielbereich hat es jedenfalls nicht gelegen. Die gaben sich alle Mühe, das Event zu retten und zu einem guten Gelingen beizutragen. Auch die Zuschauer in Strausberg freuten sich sehr über das Event und brachten den Teilnehmern viel Anerkennung entgegen. Dass Strausberg vier S-Bahnhöfe hat und ich dann im Anschluss noch 2,5h umhergeirrt bin, um mein Auto wiederzufinden – das war nun wirklich mein Verschulden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Marathon in 2016 noch einmal auf dieser Strecke stattfinden wird. Vielleicht sollte man es einfach beim Halbmarathon belassen. Manchmal ist so ein Marathon eben eine Nummer zu groß.