Marek + Spontan = Magdeburg-Marathon
Es ist Sonntag früh um 7 und es wird gerade hell, als ich auf der leeren Autobahn fahre und mich die Musik aus dem Radio laut beschallt. Meine Stimmung ist trotz der Müdigkeit bestens. Es ist einer solcher seltenen Tage, wo man aus irgendeinem Grund schon vorher weiß, dass es ein guter, nein, ein toller Wettkampf werden kann. Mein Ziel ist Magdeburg, eine gute Stunde von Berlin entfernt. Die 12. Auflage des Magdeburg-Marathons ruft. Sahra hatte mir schon vor einiger Zeit von dem Lauf vorgeschwärmt, doch nach dem verunglückten Berlin-Auftritt wollte ich erstmal so schnell nichts mehr von einem Marathon wissen. Nur manchmal kommt es eben anders, als man denkt. Es trug sich so zu, dass ich “Berlin” anscheinend so dermaßen schnell abgehakt hatte, dass die darauffolgende Trainingswoche überraschend gut lief. Und auch die nächste. Und dann die nächste. Ich kann mir selbst nicht erklären, woran das konkret lag. Das Training vor dem besagten 27.09. war vergleichsweise schleppend und planlos. Und nun stellte sich die Welt plötzlich auf den Kopf – NACH dem Marathon? Aber zuviel nachdenken bringt meistens auch nichts und so saß ich dann nach einem spontanen Samstag-Abend-Familien-Beschluss im Auto und überquerte flugs die Elbe, um pünktlich um 07:30 in den Messehallen der Stadt meine Nachmeldung einzureichen.
Alles lief völlig stressfrei ab, kein Vergleich zu der Hektik im Berliner Tiergarten. Ich treffe Sahra, Anja, Maxi, Markus und Steffen und alle freuen sich diebisch auf die 42,195km. Wir walken 5min vor dem Start in den abgesperrten Bereich. Ca. 350 Marathonis machen sich hier langsam bereit, der Start des Halbmarathons war erst auf 10Uhr terminiert. Eine sehr sinnvolle Regelung. Ca. 500m weiter befinde ich mich bereits auf der nächsten Elbquerung des Tages, der Jerusalembrücke (es sollte bei Weitem nicht die letzte sein). Ich erkenne Philipp neben mir, er hat mit mir zusammen im Spreewald um die Läuferkrone gekämpft und mich im Marathon richtig stehengelassen. Ja, er will auch 3h laufen, Trainingsrückstand und so, aufs Tiefstapeln haben wir Läufer uns scheinbar spezialisiert. “Da weiß ich ja, an wem ich dranbleiben muss!” Spontan fallen mir meine vielen langen Läufe ein, die ich bei der Vorbereitung unterschlagen habe. Aber warum zweifeln? Heute ist ein guter Tag! Ich setze mich vor ihn und einen Kilometer später merke ich, dass er nicht gewillt ist, das Tempo mitzugehen.
Nach einem kurzen Stück am Schleinufer an der Elbe geht es durch die Stadt über den Domplatz und die Altstadt wieder zurück direkt zur nächsten Elbüberquerung, der neuen Strombrücke. Immer an der alten Elbe entlang, kreuzen wir den ersten Kilometer. Der Elbauenpark sollte am Ende auch das Ziel der langen Marathon-Reise sein. Das Feld hat sich hier bei km10 längst weit auseinandergezogen, mir wird “Platz 9” zugerufen, als es auf die lange Herrenkrugstraße geht. Das erste Gel wandert ins Getriebe, ich klatsche ein paar Kids ab und lächele den (wenigen) Applaudierenden zu. Es läuft. Und es wird zunehmend einsamer um mich herum. Der asphaltierte Weg führt nun einige Kilometer vollkommen ungeschützt über die Felder, doch wir haben Glück: es ist kaum ein Windhauch zu vernehmen. In Sichtweite sind die ganze Zeit Enrico und Paul, die anscheinend clever zusammenlaufen. Doch mich stört es nicht sonderlich, ich will mein eigenes Rennen machen an diesem Tag.
Der Hoka leistet mir gute Dienste, trotzdem nehme ich eine dicke Blase am linken Fuß mit. Im Nachhinein war es durchaus riskant, auf die neuen Treter zu setzen. Doch die Schmerzen sollten eher anderer Natur werden. Nach der Halbmarathon-Marke ändert sich das Rennen schlagartig: den Abzweig auf den Weinberg kommentiere ich mit “Trail!”, ohne zu wissen, dass der einige Körner kosten wird. Hatte Sahra da nicht vorher etwas von erzählt? Ich muss es verdrängt haben. Jedenfalls geht die Pumpe ordentlich, als es auf den Elberadweg unter der A2 auf das nächste Highlight zugeht: der imposanten Trogbrücke in Hohenwarte, die den Mittellandkanal über die Elbe führt. Hier gilt es, zwei Rampen hochzurennen, beide Anstiege bringen mich näher an Enrico heran. Bloß nicht alle Kräfte verpulvern. Fast einen Kilometer geht es dann oben auf der Brücke entlang, ein imposantes Bauwerk und auch hier ist kaum Wind zu verspüren. Die schnelleren Marathonis sind da bereits auf der anderen Seite auf dem Rückweg. Noch einmal die Rampe runter, unter der Brücke durch und die Rampe wieder rauf. Ich schließe zu Enrico auf. Im Nachhinein betrachtet mache ich hier den einzigen groben taktischen Fehler: auf der Brücke gehe ich vorbei und kralle mir Platz 8. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt gewußt hätte, dass der Elberadweg zwar an dem bereits erklommenen Weinberg vorbei führt, aber bis km30 sehr wellig wird, hätte ich mich anders entscheiden und die gemeinsame Sache der Platzierung vorziehen müssen. Und so beginnt das obligatorische Leiden auf dem letzten Stück eines Marathons.
Mir kommt der letzte Teil der Marathonis noch entgegen, auch Siegrid Eichner ist mit dabei, sie wird am Ende in 05:48 auch diesen Marathon erfolgreich beenden. Dann wird es endlich Zeit, dem bisherigen Tempo meinen Tribut zu zollen. Die Verpflegungspunkte sind leider rar auf km35-40 (klitzekleiner Minuspunkt), der Kaugummi zieht sich nun endlos. Bei km37 vernehme ich ein mitleidiges “ist nicht mehr weit, gleich kommt km38!”, doch die Beine werden immer schwerer. Ist ja nicht so, dass mir dieses Gefühl unbekannt wäre! Im Elbauenpark treffen wir auf das Halbmarathonfeld. Der Besuch am letzten Verpflegungspunkt dauert dann etwas länger, ich sehe noch, wie Enrico die Gelegenheit nutzt und an mir vorbeigeht. Meinen taktischen Fehler nehme ich bereitwillig zur Kenntnis, wenn das Ding doch nur mal ein Ende nehmen würde! Endlich kommt das Messegelände in Sicht und aus der Ferne sind auch die Lautsprecher des Ziels zu hören. Noch einmal geht es über eine Brücke, bevor das Tagesziel erreicht ist. Ich vernehme meinen Namen und “Altersklasse Platz 3 in der M35”. Sogleich werde ich von einem Reporter zu meinen Eindrücken befragt. Ich stammele noch völlig aufgelöst etwas von einer tollen Strecke und bekunde meine Zufriedenheit mit der Zeit. Die war bei 02:55:48 stehengeblieben, eine Sekunde wird von der Bruttozeit noch abgezogen in der Ergebnisliste.
Enrico erzählt mir kurz danach, dass noch ein Pole an uns vorbeigerannt ist (ich habe es nicht bemerkt), somit steht am Ende ein toller 10. Platz für mich zu Buche. Ich freue mich darüber, das Bauchgefühl hat nicht getäuscht. Nach den 3 Marathons dieses Jahr, die allesamt nicht gut liefen, konnte ich endlich meine sub3 vom Berlin Marathon 2012 bestätigen. Positiv stimmt mich, dass besonders im letzten Teil noch viel Luft nach oben ist. Ich muss weiter an meiner Renntaktik feilen, dann sind auch die 02:50 durchaus realistisch. Das sage ich ganz selbstbewußt, ohne in der Euphorie in Selbstüberschätzung zu verfallen. Magdeburg ist ein sehr empfehlenswerter Marathon. Im Grunde gibt es nichts zu bemängeln, die Organisation ist ohne jeden Makel und wirkt trotz der Professionalität noch sehr familiär. Die Enge, der Druck, die vielen Menschen bei einem großen Stadtmarathon – von all dem ist hier nichts zu spüren. “Spontan an einem Sonntag früh von Berlin nach Magdeburg kommen und einen Marathon laufen” (O-Ton der Helferin bei der Anmeldung) – ich würde es wieder tun.