Training im Wettkampf statt K(r)ampf im Training
Es wird Zeit, dass ich endlich Henriks traumhaft schönen Bildern aus den warmen äquatornahen Urlaubsregionen etwas entgegenhalte. Nicht, dass hier jemand zu dem Schluß kommt, wir trainieren im Winter nur bei 25°C aufwärts und eitel Sonnenschein mit schönstem Insel- und Bergpanorama vor der Nase. Nein, ich verbringe den (zugegebenermaßen milden) Winter in heimischen Gefilden und bereite mich hier auf die neue Saison vor. Bis jetzt läuft alles nach dem (imaginären) Plan, der keine konkreten Zielstellungen hat, außer für die geplanten langen Events im Frühjahr so gut wie nur möglich vorbereitet zu sein. Dazu gehört auch, dass wir uns weniger Wettkämpfe vorgenommen haben als in den vergangenen Jahren. Nun nutzen wir solch einen Wettkampf gerne einmal, um ein paar Trainingskilometer einzuloggen. An Motivation mangelt es uns jetzt weniger, aber jeder weiß, dass die lange Dunkelheit, die Kälte und Nässe sowie die teilweise schwierigen Untergründe in dieser Jahreszeit ständige harte Gegner beim Kampf um die Kilometer sind. Daher bin ich schon zum zweiten Mal in diesen Tagen auf die Idee gekommen, doch einfach einen Wettkampf als Trainingslauf zu nutzen. Einfach locker mitlaufen ohne zeitliche oder positionstechnische Ambitionen. Nach den zwei “Trainings” beantworte ich schnell auch die Gretchenfrage: kann das überhaupt funktionieren?
Nein, kann es nicht. Zumindest nicht bei ambitionierten und erfahrenen Wettkämpfern wie wir es nunmal zu sein scheinen sind. Schauplatz 1 war am 24.01. Teil 3 der Berliner Winterlaufserie. Ein Halbmarathon mit viel Flair und Kultcharakter (Ironie aus), der alles andere ist, nur eines nicht: abwechslungsreich. Mein Vorhaben, einfach jemanden zur Bestzeit zu pacen, scheitert schon vor dem Start: es ist niemand da, der meine “Dienste” in Anspruch nehmen könnte. Also trotte ich in gepflegter 4er Pace der Führungsgruppe hinterher und weiß nicht so recht, ob ich schneller oder langsamer laufen soll. Ich nehme mir schließlich vor, das Anfangstempo einfach konstant durchzulaufen. Wäre ja ein guter Ausklang nach einer harten 100km-Woche. Nur fühlen sich die Beine zu meinem Erstaunen recht locker an und ich merke, dass ich ohne Atemnot die ersten ZuSchnellLosLäufer einsammeln kann. Nach 10km schalte ich dann doch in den Wettkampfmodus um. Jetzt, wo ich schonmal hier bin! Es macht richtig Spaß auf der zweiten Hälfte und ich arbeite mich noch bis auf Platz 9 im Ziel vor. 24s an der Bestzeit vorbei – für einen “Trainingslauf” ohne Ambitionen ist das doch ganz passabel, konstatiere ich nach dem Duschen.
Trainings-Schauplatz 2 war der am gestrigen Valentinstag von Sigrid Eichner organisierte Marathon “Rund um den Brocken in Berlin”. Hier gilt es, auf einer welligen 2km-Runde im Volkspark Prenzlauer Berg (ein Trümmerberg) die 42,195km vollzubekommen. Sigrid hat hier alles perfekt im Griff und holt bei Bedarf ihre Trillerpfeife raus. Startnummern – wer braucht sowas? Die 100MC-Crew kommt 20min vor 9Uhr an und erledigt die Bezahlung, den Aufbau und eine erste Einweisung quasi nebenbei. Eike weist jedem vor dem Start eine Nummer zu, die dann beim Rundendurchlauf angesagt wird und die fertige Runde im Notizbuch manifestiert. 20 Runden mussten notiert werden. Zeitlimit – gibt es nicht. Jeder hat seinen persönlichen Trinkbecher, der mit verschiedenen Getränken (selbst) gefüllt werden kann. Bei der Ultra-Familie kennt man sich natürlich, für Marcus und mich war es die erste Veranstaltung dieser “Art”. Und diese Events haben einfach ihren ganz eigenen Charme. Ich mag sie, die verrückten Ultras.
Was muss zum Rennen äh Training gesagt werden: nach zwei lockeren Einroll-Runden mit Marcus (der schon vom Samstag 50km in den Beinen hatte!) mache ich mich an die Verfolgung der ersten drei. Zwei Runden später bin ich auch schon vorne, ohne zu wissen, dass alle drei nur den Halbmarathon laufen würden. Und wenn es einmal rollt…dann rollt es. Nach 10km wirft mir Sigrid ein “Rekord steht bei 03:13 hier unten” hinterher. Hmmmmm. Ich wollte doch nur einen Trainingslauf…locker und so. “Merke ich mir!”. Und so vergehen eben auch schnell 20 Runden, wovon jede immerhin 30 Höhenmeter aufweist. Jeder, der nach 30km auf dieser Strecke behauptet, es macht noch genausoviel Spaß wie am Anfang, flunkert doch ein wenig. Aber mal ehrlich, 30km alleine rennen bei dem grauen Nieselwetter – auch keine schönere Vorstellung. Hier gibts wenigstens noch einige Bekloppte um einen herum! Bei der letzten Überrundung bestätigt auch Marcus mit “macht keinen Spaß mehr” meine gewagte Theorie. Im Ziel kann Eike nicht so recht glauben, dass ich nach knapp über 3h schon fertig habe. Die Zeit spielt für mich keine große Rolle, obgleich ich schon erstaunt und zufrieden bin, dass ich wieder recht konstant durchlaufen konnte.
Trotzdem ich lange nicht alles raushauen musste, ist das mit einem schnelleren Trainingslauf nicht gleichzusetzen. Mein Kopf schaltet einfach zu schnell auf “ich kann den doch nicht gewinnen lassen da vorne” um, dazu bin ich einfach zu sehr ein Wettkampf-Typ, um mal eben locker und total entspannt bei einem Rennen mitzutraben. Ich kann das nicht. Training im Wettkampf statt K(r)ampf im Training – ich passe. Aber leben kann ich ganz gut mit diesem Makel. Ich bin gespannt über eure Erfahrungen. Wer hat so etwas Ähnliches schon einmal ausprobiert und vor allem: hat es funktioniert?