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Abwechslung bereichert das Läuferleben. Warum nicht einmal die Grenzen jenseits des Marathons entdecken? Wir wollten es wissen und haben uns für den 4. Self-Transcendence 6h-Lauf in München entschieden. Ausgerichtet wurde die Veranstaltung vom Marathon-erfahrenen Sri Chinmoy-Marathon-Team. Das Laufen-gegen-Leiden-Läuferrudel um Mark Hofmann stellte die Überzahl der Teilnehmer, auch wir waren im feinen LgL-Zwirn unterwegs. Die Strecke im Postsportpark in München-Moosach bietet einen 1,58km langen Rundkurs, der flach und sehr gut laufbar ist. Wir entschieden uns für eine einfache Taktik: 5er Pace so lange wie möglich. Möglichst lange zusammen. Henrik verfügt über mehr Ultra-Erfahrungen als ich, so dass schon vorher klar war, wer das interne Duell für sich entscheidet. Um Punkt 10 gab Volker im Regen! den Startschuss. Doch das Wetter trügte: schnell kam die Sonne raus und gegen Mittag waren es bereits satte 27°. Das war für die meisten nicht gerade ideal, später konnte man den gelaufenen Kilometern den Einfluss der Hitze ablesen. Die Zahlen waren um einiges dem Vorjahr hinterher.

6h Lauf 03Wir machen erstmal unser Ding, nur eben die “üblichen” 15s schneller als geplant. Wie lange konnte das gutgehen? Die ersten 15km ist alles im Fluss, leicht und locker werden die Runden abgespult. Jeder Teilnehmer bekam seinen menschlichen Zähler zugewiesen, der dann elektronisch und per Strichliste Buch über die Leistung des Läufers führte. Schnell fällt jede Runde der eigene Name: “Marek, super, hab’ dich!”. Am Ende der Zielgerade wartete das üppige Verpflegungszelt. Während wir anfangs noch wenig zu uns nahmen, wurde der Stop alsbald zu einer Routine, die wir nur selten ausließen. Da der Lauf als „veganer Lauf“ deklariert wurde, gab es logischerweise auch nur veganes Essen. Wasser, Cola, Iso, Tee, Malzbier, alkoholfreies Bier – die Auswahl war beeindruckend. Ich entschied mich recht schnell für das Malzbier. Gut trinkbar und ein hervorragender Durstlöscher. Die Organisation war unglaublich perfekt. So etwas haben wirmbeide bei einem Lauf noch nie erlebt. Für die Becher standen ausgangs der Zielgerade auf ca. 100m Körbe bereit, in die man diese dann ablegen konnte. Die Körbe wurden ständig geleert, die Becher abgewaschen und wieder aufgefüllt. Schwämme lagen bereit, um sich mit kaltem Wasser abzukühlen. Auf der Runde waren auch einige Schilder mit Motivationssprüchen von Sri Chinmoy aufgestellt. Einige Sprüche waren arg lang und spirituell. „Never give up“ klang zwar anfangs etwas abgedroschen, erfüllte dann aber gegen Ende durchaus seinen Zweck.

6h Lauf 12Wir konnten das Tempo bis km30 gut aufrechterhalten. Ein Dixi-Stop meinerseits nach 15km war noch kompensierbar, aber nach einer längeren Verpflegungspause lief mir Henrik dann davon. Nicht schlimm, mir war eh bewußt, dass die Pace nicht ewig machbar wäre. Mehrfach tauchten dann unterwegs Fragen auf, ob wir denn Brüder sind und wo denn jetzt der andere sei. Ab km35 wurden die Verpflegungspausen länger, immer mit anschließender Walking-Strecke, um ordentlich zu essen und zu trinken. Und auch die Beine wurden zunehmend schwerer. Ich musste nun öfter auch auf der zweiten Hälfte der Runde Gehpausen einlegen. Zu dem Zeitpunkt gingen bereits viele, so dass dies bei einem 6h-Lauf kaum auffällt. Aber da waren ja gerade mal 3h vorbei! Kann denn keiner die Uhr vorstellen? Wie soll das noch 3h weitergehen? Die Marathon-Marke. Für mich das Mindestziel. Ab jetzt war es quasi nur noch Zugabe. Mal ging es wieder eine Runde besser und ich konnte durchlaufen, mal musste ich die halbe Runde gehen. Henrik lief zu dem Zeitpunkt auf Platz 5 (die Anzeige wurde ständig mit den gelaufenen Kilometern aktualisiert). Ich rutschte immer zwischen Platz 6 und 7 hin und her. Die direkten Konkurrenten waren schwer greifbar. Da auch viele Staffeln mit dabei waren, wußte man nur bei den Überrundungen, wer vor einem war. Sonst war es ein einziges Rätselraten.

6h Lauf 05Henrik überrundete mich bei km52. Ich versuchte, ihn zu motivieren, weiter zu pushen, da der 5. Platz im Bereich des Möglichen schien. Wir liefen noch für einen Moment zusammen, bevor ich das “Zurückrunden” mit einer Gehpause bezahlen musste. Für mich war das überhaupt nicht schlimm – der eigene Bruder kann mich von mir aus zehnmal überrunden. Km50 war nach 04:30h erreicht. Wie wir später realisierten, bekam jeder zu dem Zeitpunkt für eine Runde eine blaue Fahne. Meine hatten sie anscheinend vergessen und Henrik wußte damit in der Runde auch nichts anzufangen. Und dann noch 90min die Zähne zusammenbeißen. Jeder Meter zählt! Und auch mit zügigem Gehen schafft man 7km/h. Kilometerschnitte von 6min waren jetzt keine Seltenheit, eher die Regel. Aber das machte nichts, Hauptsache weiter! „Never give up“, nein, niemals, nicht, bevor die Tröte die 6h signalisiert. Der Körper schaltet auf die letzten Reserven. Zwei Malzbier pro Runde müssen sein, auch Cola geht gut. Meine Hochrechnung nach 60km und 05:30h ergibt, dass es für mich zu 64km reichen könnte. Und das wäre ja für das 6h-Debüt nicht so übel. 6h Lauf 01Die letzte Stunde vergeht dann auch wieder schneller. Ich erwarte Henrik jederzeit zur Überrundung, aber er läßt sich nicht blicken. Plötzlich ändert sich das Klassement: Henrik auf Platz 3! Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Einer ist wohl ausgestiegen“ erzählt mir Henriks Bekannter. Ja, was geht denn hier ab? Die letzten Minuten ticken herunter, ich nehme alles zusammen und renne mit meiner Zielfahne am Verpflegungsstand vorbei, um vielleicht noch auf die 64km zu kommen. Die letzten Sekunden. Direkt neben mir werden die 6h getrötet. Es gelingt. Welch Erlösung! Die Fahne mit der Startnummer, die jeder beim Beginn der letzten Runde bekommen hat, wird in den Rasen gerammt. Der Drang, sich hinzulegen, ist unglaublich groß. Alle Sportler in der Nähe klatschen sich ab und beglückwünschen einander. Wir trotten zum Ziel zurück, das nur 200m entfernt ist.

IMG-20150912-WA0005Medaille empfangen und wieder hinlegen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Henrik zurück. Ich zolle ihm meinen Respekt zu seiner grandiosen Vorstellung. Am Ende stehen für ihn 66,5km und für mich 64,04km auf dem Tacho. Damit sind wir super glücklich. Henrik holt sich Platz 3 gesamt und auch Platz 3 der MHK (bis 49 Jahre). Ich gehe mit Platz 8 gesamt und Platz 5 in der MHK nach Hause. Da die Plätze 1-7 geehrt werden, können wir gleich beide einen Pokal in Empfang nehmen. Zusätzlich gibt es Blumen und ein Geschenk-Paket. Viktor erhält mit 81 Jahren! einen Sonderpreis. Und auch hier wieder: eine Top-Siegerehrung, bestens moderiert und organisiert. Für mich geht es in der Nacht schon wieder zurück nach Berlin, da ich am Sonntag noch den Staffeltriathlon “mitgenommen” habe.

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Was können wir von unserem 6h-Debüt mitnehmen? Lehrgeld habe wir sicher gezahlt, wenn auch in überschaubarem Maße. Als Vorbereitung für Berlin in 2 Wochen buche ich mir einen langen Lauf ein. An der Taktik müssen wir sicher noch etwas feilen. Da fehlte es uns einfach an Erfahrung, wie man so einen langen Kanten richtig angeht. So ein Lauf wird vor allem im Kopf entschieden. Und das haben wir am letzten Samstag ganz gut hinbekommen beide.