von Marek | 16.05.15 | Wettkampfbericht
Diese Nacht wird uns noch einige Zeit in Erinnerung bleiben. Vielleicht ja sogar mehr als unsere erste Nacht bei unserer Premiere beim Run&Bike Neuzelle vor zwei Jahren. Das Ergebnis liest sich ernüchternd und ist es auch, ohne Wenn und Aber: DNF. DID NOT FINISH. Der Alptraum eines jeden Sportlers. Für uns wurde dieser heute Nacht das erste Mal überhaupt wahr.
Um kurz nach halb sechs in der Frühe saßen die Running Twins im Rettungswagen des Deutschen Roten Kreuzes vor dem Klosterportal in Neuzelle. Silvana hat sich unserer angenommen und uns mit Rettungsdecken, einer warmen Standheizung und einem heißen Kaffee versorgt, so dass wir langsam wieder auftauen konnten. Zu dem Zeitpunkt war unsere zweite Teilnahme bei diesem schönen Event seit mehr als einer Stunde vorzeitig beendet. Was war passiert?
Mit großen Erwartungen sind wir angetreten. Und nichtmal ansatzweise konnten wir umsetzen, was wir uns für die 100km vorgenommen hatten. Es lief einfach nichts, aber auch gar nichts zusammen. Die Chronologie unseres Scheiterns: nach dem Start um 00:00 bildete sich schnell eine Gruppe mit 5 Teams, die das Feld anführten. Am Anfang läuft es locker und leicht, wir wechseln wie geplant in kurzem Rhythmus, kein Team will sich vorzeitig absetzen. FEHLER Nr. 1: wir haben die Wechsel nicht geprobt vorher. Kurz vor knapp haben wir uns für das Damenfahrrad von Britta entschieden und nicht für Mareks MTB. Damit klappt der Einstieg zwar leichter, aber der Rücktritt macht uns riesige Probleme. Nach 4km fliege ich mitsamt unserer Ladung (Gels, Trinkflaschen, Jacke, Riegel) auf die Nase und muss alles mühselig einsammeln und den Jungs hinterherheizen. Auch der Sattel ist viel zu tief. Einen Schlüssel dafür hatten wir (natürlich) auch nicht mitgenommen. Während die anderen fast mühelos wechseln, muss unser Biker immer wieder von hinten aufholen. Das Ganze zieht sich bis km20. Dann kommt der erste Verpflegungspunkt, den Henrik auf dem Rad absolviert. Stempel nicht vergessen – wo war denn gleich die Stempelkarte? Vorne setzen sich die beiden Jungs Tobias und Ron von Fortuna Marzahn ab. Keiner kann und will dem Tempo folgen, wir sind zu dem Zeitpunkt trotzdem noch mit unter 4min/km unterwegs.
Es geht an der Oder entlang. Und es wird immer kälter. Das eine paar Handschuhe hilft auf dem Rad nur kurzzeitig. Ich merke, wie meine Finger mehr und mehr einfrieren. Der Nebel ist teilweise so stark, dass auch mit der irren Beleuchtung (zwei Halogen am Rad, zwei Stirnlampen, zwei runlights am Körper) keine 2m Sichtweite herrscht. Eine Weile wechseln sich die Positionen 3, 4 und 5 miteinander ab. Dann müssen wir auch Thomas und Stefan ziehen lassen. Kurze Zeit später rücken Sebastian und Mathias nach. Wieder können wir nicht folgen. Der erste Dämpfer ist da: dass wir so “früh” den Kontakt zur Spitze verlieren, hatten wir nicht erwartet. Von da an sind wir allein unterwegs. Wir versuchen, das Tempo weiter konstant zu halten, als es auf die Straße Richtung Wiesenau geht. Endlich weg von der nebligen Oder. Nur die Temperaturen scheinen immer weiter zu fallen. Unser Getränkevorrat ist da bereits erschöpft. Das kalte Wasser wird schnell ungenießbar.
Dann ist der Verpflegungspunkt bei km53 endlich erreicht: ich übernehme diesmal den läuferischen Teil, Henrik füllt die Vorräte auf. Den Anstieg laufe ich gemächlich hoch. Dann geht es links weg Richtung Süden und siehe da – Henrik rollt mit den Vorräten heran. Ich vernehme nur kurz:
- “Very bad news”.
- “??? Was soll das heißen verdammt?”
- “Glaube, wir verlieren Luft vorne im Reifen.” – ich halte an und checke.
- “Verdammt. Kann doch nicht wahr sein!”
Ich schmeiße mich aufs Rad und schreibe unserer Supporterin Kathi per Facebook: “Pumpe!”, “Platten!”. Sie wollte bei km70 auf uns warten. Dass sie noch antwortet und die Pumpe einpackt, bekomme ich nicht mehr mit. Woher also mitten in der Nacht eine Luftpumpe organisieren? Kein Feuerwehrmann hat etwas parat. Noch ist ein wenig Luft auf dem Reifen. Kurz vor km60 fragt Henrik weiter verzweifelt jeden einzelnen, der an der Strecke ist. Und das waren zu dem Zeitpunkt nur sehr Wenige. Dann endlich scheint er Erfolg zu haben. Ich laufe schon vor und sehne die erlösende Nachricht herbei. Es zieht sich. Mir kommt das Streckenfahrzeug entgegen. Der Herr fragt, wo denn mein Kollege sei (er hatte mittlerweile von vorne eine Pumpe organisiert!). Ich werfe ihm nur “er kommt gleich” entgegen. Es keimt wieder Hoffnung auf. Plötzlich kriege ich einen Bärenhunger. Es bleibt nix erspart. Ich muss die erste Gehpause einlegen, kann dann aber weiterlaufen. Und Henrik sollte doch gleich aufschlagen mit unserer reichhaltigen Verpflegung!
Ich höre nach einer endlos erscheinenden Zeit die Radgeräusche hinter mir. Auch die nächste Konversation bleibt dauerhaft in meiner Erinnerung:
- “Stell’ jetzt bitte keine Fragen, wir haben ein anderes Rad.”
- “Wie meinst du das, ein anderes Rad?” (ich sehe jetzt erst den anderen Drahtesel, den Henrik bei einer Dame eingetauscht hat).
- “Ich habe Riesenhunger. Wo ist unser Essen?”
- “Alles dagelassen. Wir haben nix mehr jetzt. Was sollte ich machen?” (das Rad ist ein älteres Rennrad, das nicht mal eine Flaschenhalterung besitzt)
- “Ich muss etwas essen. Sonst ist hier und jetzt Feierabend!”
Henrik zieht noch ein Gel aus der Jacke und überlässt es mir. Besser als nix. Und es hilft tatsächlich. Eine Trinkflasche hat er noch in der Hand, auch das tut gut nach dem langen Intervall. Dann geht es in den Wald. Der Sattel des Rades ist so übel eingestellt, dass ein vernünftiges Fahren nicht machbar ist. Auch die Wege werden schlechter. Nun wollen wir beide nur noch laufen. Das geht erstaunlicherweise recht passabel. Ich wuchte das Rad über die sandigen Pisten, sehe die Querspuren unserer Vorderleute. Hier wurde hart gekämpft! Und dann geht es raus aus dem Wald. Fast unbemerkt ist es mittlerweile hell geworden.
Wir übersehen fast Kathi bei km65. Der erste Blick haftet am Auto, die linke Vorderseite ist demoliert. “Ein Reh war das.” Ungläubig wechseln wir die Blicke, ziehen uns aber dann mit vollem Genuss den heißen Tee rein. Zu essen hat sie leider nichts dabei, wo wir doch mittlerweile jede Banane mit Kusshand nehmen würden. Wir stehen ca. 10min bei ihr. Platz 6 überholt uns. Weitermachen? Aufhören? Wir kühlen so schnell aus, ohne es zu merken. Noch einmal mobilisieren wir alle Kräfte und ich renne los. Kathi fährt nun ein paar Meter voraus, hat uns fest im Rückspiegel im Blick. Das Laufen geht erstaunlich gut. Nur Henrik wird immer kälter auf dem Rad.
Km68, direkt vor dem Eingang des Campingplatzes. Kathi wartet auf uns. Henrik kann kaum mehr treten, die Kälte ist trotz der 4 Lagen und den Handschuhen unerbittlich. Wir sprechen nur kurz miteinander. Die Entscheidung ist einstimmig: aus und vorbei. Das Risiko wäre zu groß. Kathi bietet uns noch ihren Hoodie an. Doch nochmal los? Nein, auch Henriks Kopf kann sich nicht mehr umentscheiden. Mit letzter Kraft bauen wir das Rad auseinander, setzen uns ins warme Auto und nehmen Kurs Neuzelle.
Im Ziel wollen wir erst in die Turnhalle. Die warmen Sachen aus dem Auto können wir nicht holen – mein Autoschlüssel war noch in der Fahrradtasche! Wir kommen am DRK-Wagen vorbei und fragen nach Decken. Die beiden Sanis suchen eine Ewigkeit und wir frieren entsetzlich. Dann kommt Silvana und nimmt die Sache in die Hand. Wir beobachten respektvoll aus dem Wagen, wie David und Tim mit 06:24 einlaufen. Tobias und Partner kommen zehn Minuten später, Thomas und Stefan laufen 06:39. Als ich dann in der warmen Morgensonne auf Henrik und Gregor warte (die das Rad aus Groß Lindow von Stefans Frau holen wollen!), kommen Thomas und Stefan vorbei. “Haben schon gehört von Euch. Bei uns lief es auch nicht!” So kann man es natürlich auch sehen!?. Aber auf die Medaillen blicke ich schon neidisch. Das Gefühl, ohne Medaille abzureisen, liegt mir schwer im Magen.
Was nehmen wir mit aus dieser Nacht?
Selbstkritisch genug sind wir, um das Ergebnis richtig einzuordnen. Das war ein ordentlicher Schuss vor den Bug dieser bisher so guten Saison. Das DNF hätten wir uns natürlich an anderer Stelle gewünscht. Viele kleine auch taktische Fehler (keine Luftpumpe, keine Wechsel geprobt, zu kalt angezogen, zu schnell losgelaufen, keinen Plan B) haben wir gemacht und somit das Resultat selbst verschuldet. Hinzu kommt ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung, dass wir das Ergebnis von vor zwei Jahren locker schaffen könnten. Doch damals hatten wir viel, viel Anfängerglück. Das war dann wohl aufgebraucht. Das DNF nur mit den Materialproblemen zu erklären, wäre zu einfach. “Ist der Lauf nicht dein Freund, ist er dein Lehrer.” Selten hat etwas besser gepasst zu dieser Nacht. DUMM gelaufen.
von Henrik | 13.05.13 | Wettkampfbericht
Wir kamen an.
Ich dachte ja schon, auf meinem fast 5 Stunden andauernden Kampf beim Transgrancanaria sei genug Action für drei Wettkämpfe gewesen. Aber was uns gestern auf 100 Km Laufstrecke erwartete, sprengte unser beider Vorstellungsvermögen – zum Glück! Klar, ein bisserl Rumspinnen im Vorfeld hinsichtlich der möglichen Zielzeit gehört dazu. Der Zwillingsfaktor würde zudem auf einem derart dicken Brett nicht unbedeutend werden. Trotzdem rückten wir als naive Debütanten in Neuzelle an. Respekt vor der Strecke und allen Teilnehmern, die den Ritt wagten: hatten wir. Zweifel oder gar Angst zu scheitern: hatten wir nicht. Dabei machten wir im Vorfeld wohl vieles falsch, was man falsch machen konnte. Kaum Ruhe am Freitag, stattdessen Garteneinsatz. Als Ausrüstung musste Mareks Mountainbike mit zwei Flaschenhaltern und dem Lenkertäschchen vom Kinderfahrrad reichen, dazu eine(!) Stirnlampe und das Rad-Navi. Regen war keiner vorhergesagt, also kurze Laufsachen. Eine Renntaktik, die diesen Namen nicht verdiente, entwarfen wir auf dem Hinweg. Als Verpflegung mussten 15 Powerbargels herhalten, die wir kurz vor Ladenschluss im Karstadt Sport einsackten. Schon beim Checkin im Klosterhof Neuzelle staunten wir Bauklötzer, als uns Routinier Adolf berichtete, die Favoriten von der Werkfeuerwehr wechselten alle 500 Meter. Mountainbikes sahen wir nicht wirklich viele unter den 44 gemeldeten Teams, stattdessen Damenräder mit Körbchen und wahren Lichtorgeln. Auch die kurzen Sachen erschienen uns in der kühlen Abendluft mindestens zweifelhaft. Schnell noch die Segeljacke von Henrik übergeworfen! An Schlaf im Auto war nicht mehr zu denken, zu groß war die Aufregung. Ich sollte anlaufen, die Radler samt Marek starteten nach dem Läuferfeld. Im Läuferpulk gab ich noch schlaue Weisheiten (“Material allein gewinnt nicht”) von mir, die Glocken schlugen Mitternacht an und plötzlich machte die Frau von der Sparkasse *TRÖOÖÖÖÖÖÖÖT*.
Ich lief der Startnummer 1 hinterher und der hatte einen Affenzahn drauf. Nach 300 Metern hatte er seinen Radler neben sich, nach 500 Metern wechselten sie zum ersten Mal – alles in einem unglaublichen Tempo. Platz 2 und 3 kassierte ich noch in der ersten Kurve. Marek würde ja gleich da sein. Das Führungsfahrzeug entfernte sich langsam, aber stetig. Zu Platz 3 hatte ich eine Lücke von ca. 20 Metern gelaufen. Die späteren Sieger “Alles Müller oder was?” in der Mixed-Wertung hatten sich gefunden und Sohnemann wechselte auf Ultra-Mutti. Nur wo war Marek? Nach ca. 4 Km vermisste ich ihn doch dringlichst. Ein Geistesblitz traf mich. Ich rief einer Zuschauergruppe zu, dass “Nummer 8 durch ist”. Ich hatte nicht mal eine Lampe dabei und bekam außerhalb des beleuchteten Teils von Neuzelle schnell Sichtschwierigkeiten. Und endlich, nach dem ersten knackigen Berg holte mich ein japsender Radler ein: mein Zwillingsbruder! Er hatte die Gruppe um Platz 3 für die Führungsgruppe gehalten und zwei Mal das gesamte Feld vorbeiziehen lassen. Endlich konnten wir wechseln und durchatmen. Wohlgemerkt immer noch im Tempo von ~4 min/Km. Ich hörte sicher nett gemeinte Flüche wie “Spinnst du?” oder “DAS TEMPO WIRD UNS UMBRINGEN!” und nahm ein paar Schluck aus der Trinkflasche. Einerseits war es eine Spur größenwahnsinnig, so in ein 100 Km-Rennen zu gehen. Andererseits bin ich mir sicher, dass es Marek nicht wesentlich anders gemacht hätte. Und in der Stimmungslage nahmen die Running Twins Fahrt auf. Was für ein Auftakt!
Wir hatten noch keinen Rhythmus gefunden und liefen viel zu lange Abschnitte ohne Wechsel. Den Abbiegehinweis auf der ausgezeichnet beschilderten Strecke auf der Bundesstraße erblickte Marek noch gerade rechtzeitig. Das war knapp! Jetzt ging es in einen Wald mit einem Hochgras-Weg. Marek lief diesen Teil durch und ich folgte mit Respektabstand in höchster Konzentration. Gleich müsste die Oder erreicht sein und damit auch der erste Checkpoint. Hier ließ Marek als Radler eine Flasche auffüllen. Leider stellten sich die Mädels ziemlich doof an, denn es gab nur Becher. Eine gute Minute hatte Marek beim Stempeln und Nachladen verbracht. Und dann bogen wir links ab auf den Oderradweg. Jetzt wurde es dunkel und zwei Lampen folgten uns unverändert mit einem Rückstand von gefühlten 100 Metern.
Es “rollte” und wir hatten nun Zeit, uns auf einen effektiveren Rhythmus einzustellen. Eine Weile tauschten wir auch die Jacke (Modell “Granville” von Gaastra, alles andere als eine Laufjacke) bei jedem Wechsel, um den Radler warmzuhalten. Ich mag mir nicht ausmalen, was passiert wäre, hätten wir die Jacke nicht mitgenommen. Die Tempoangabe schwankte schon lange lediglich zwischen 4:06 und 4:08 je Km. Es rollte jetzt. Wir waren leicht genervt vom Veranstalter-Golf, der regelmäßig durch das gesamte Feld fuhr und zwei kommunikationsarme Herren beherbergte, die auch aufpassten, dass der Radler nicht überholte. So vermuteten wir jedenfalls. Nur ist der Radweg eben nicht für Autos gemacht und die Überholvorgänge störten, weil man arg am Rand laufen musste. Die Kilometer flogen förmlich vorbei und ich entschied, jetzt öfter zu wechseln, um Kräfte zu sparen. Auch wenn Marek damit nicht ganz einverstanden war. Und so fragten wir uns mehrmals, ob diese Harakiri-Taktik wirklich aufgehen könnte. Der Verpflegungspunkt bei Km 31 näherte sich. Gelegentlich schauten wir uns um, kamen aber schnell zu dem Schluss, dass wir uns nicht jagen lassen sollten. “Einholen ist das eine, Überholen das andere.” Ein richtig schöner Floskelaustausch entwickelt sich mit der Zeit. Dachs und Reh kreuzten unseren Weg durch die Nacht. In der Ferne sahen wir das hell beleuchtete Stahlwerk Eisenhüttenstadt. Der Verpflegungspunkt bei Km 31 übernahm ich, die Abstandsangaben zu den Führenden schwankten zwischen 4 und 10 Minuten. Aber eigentlich holten wir die nur zum Spaß ein. Zu keinem Zeitpunkt verschwendeten wir einen Gedanken daran, das aufholen zu wollen/zu können.
Marathon in 2:53h! Auf der schmucklosen Passage Richtung Wiesenau entschied sich -im Nachhinein betrachtet- das Rennen. Unsere Verfolger kamen näher, aber zu keinem Zeitpunkt in Schlagdistanz. Fackeln am Straßenrand sorgten für Atmosphäre, tolle Idee! Wir hielten das Tempo. Nur mein Magen meldete langsam aber zunehmend Gel-Overflow. Mir fehlen an das Stück bis zum 53er Checkpoint irgendwie sämtliche Erinnerungen. Nur dass ich was von #rodgau50 faselte. Waren wir im Flow? Oder so in Gedanken? Konditionell und muskulär ging es uns sehr gut. Nur mein Magen… Die Feuerwache in Wiesenau bildete den Wendepunkt einer Pendelstrecke von ca. 200 Metern. Marek füllte warmen Tee auf und ich hüpfte mit der abgestempelten Karte über eine Parkbank. Von Platz 3 war nichts zu sehen. Das stimmte mich positiv, aber es waren noch 47 Km zu laufen! Es folgte eine Hauptstraße mit ordentlich LKW-Verkehr. Marek brauchte ein paar Minuten, um mich einzuholen. Zum letzten Mal führte uns die Strecke nun Richtung Norden. Und schon folgte in Brieskow-Finkenherd die Bitte, nach links abzubiegen in den Wald. Verlaufen konnte man sich bei der glänzenden Organisation nicht. Wir ahnten, dass der nun vor uns liegende zweite Teil anspruchsvoller werden würde.
Auf diesem Abschnitt geriet unser Vorhaben zum zweiten Mal nach dem Fauxpas beim Start ernsthaft in Gefahr. Die Waldwege bestanden aus reichlich Sand. Ich lief gerade, als ich Marek im Brandenburger Treibsand verlor. Als Strongman-Erfahrenen störte mich der Sand nicht so, aber das Bike blieb halt stecken. Aus der Ferne vernahm ich wilde Flüche. Aber was sollte schon passieren? Bestimmt endet die Passage bald und dann fährt Marek schon wieder ran. Nur: es zog sich wie Kaugummi und ich musste Tempo rausnehmen. Ich dachte kurz daran zu warten. Die Laufpassagen strengten jetzt richtig an und ich war seit Km 50 immer froh, sobald Marek auffuhr und das Kommando zum Wechseln gab. Das lief reibungslos, nicht einmal entglitt uns das Fahrrad beim Wechseln. Wir waren erstaunt, dass kaum Zeit beim Wechseln verloren geht und wie schnell man sich auf dem Rad erholen konnte. Als ich den Wald nach den paar Kilometern verließ und den Asphalt unter meinen Füßen spürte, war mir klar: wenn Marek gleich ranrollt, haben wir einen kritischen Punkt überstanden. Er kam etwas fertig ran, berichtete mir von den grauenhaften Bedingungen und ich schaltete die Stirnlampe aus. Denn es wurde H-E-L-L!
Die aufgehende Sonne konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kampf längst begonnen hatte. Der Radweg an der Bundesstraße wurde nun zunehmend hügelig. Lieber zuviel wechseln als zuwenig! Zudem wurde mein Magenproblem nun akut. Im Nachhinein betrachtet mag das lustig erscheinen: Henrik legt das Bike ab, springt in den Graben und legt eine Jan Fitschen-Gedächtnispause ein. Und ich wage zu behaupten, dass ich schneller war! Jedenfalls hatte ich Marek rasant wieder eingeholt. Nach der Wald-Sand-Passage hatte sich unser Durchschnittstempo auf ca. 4:13 min/Km reduziert. Keine Chance mehr zuzulegen. Und warum vergingen die Kilometer auf der Uhr immer langsamer? Der Checkpoint Km 70 war nicht mehr weit, trotzdem kamen uns die Kilometer bis dahin wie eine Ewigkeit vor. Die Kommunikation beschränkte sich auf das Allernötigste. Wir haderten beide damit, dass es schon so weh tat, litten wir jetzt ganz klar unter dem Wahnsinnstempo auf der ersten Hälfte. Auf einem Rastplatz im Wald bog ich ab zum Verpflegungspunkt. Die Trinkflaschen waren leer. Wieder die Posse mit den Bechern. Ich schnappte mir eine Banane und heizte Marek hinterher. Die Abfahrt war brutal für mich, ich fror bitterlich. Aber es war immer wieder beruhigend, die Lücke zu schließen und das Team vereint zu haben. Zu keinem Zeitpunkt zweifelte ich mehr daran, dass wir ankommen würden. Noch 15 Km für jeden von uns – klang gar nicht mehr so viel. War es aber, vor allem, weil mein Magen inzwischen sämtliche Nahrung direkt durchleitete.
Irgendwo zwischen Km 71 und 75 folgte also der “Fitschen Reloaded”, nur ohne Dixiklo. Mir ging es dann deutlich besser. Jetzt hieß es durchhalten bis zum letzten Meilenstein auf dem 90. Kilometer. Marek beschwerte sich lautstark darüber, dass ich immer auf ein kleineres Blatt schaltete. Mit den kaputten Oberschenkeln wurde es auch für den Radler immer schwieriger, zumal es jetzt fast ausschließlich bergauf ging. Wir hatten noch beide Forerunner am Leben, die uns über Strecke und Pace Auskunft gaben. Und klebten am Display. Lasen uns Kilometer für Kilometer vor. Die Stimmungslage in dieser Phase ist schwer zu beschreiben. Unser Zeitgefühl war spätestens nach Sonnenaufgang verlorengegangen. Irgendwo zwischen “nur noch irgendwie zu Ende laufen” und blanker Ungläubigkeit über den Rennverlauf müssen wir uns befunden haben. Laufen, Wechseln, Radeln, Jammern, Trinken… es war viel zu tun! Eine Restangst war noch da, dass Platz 3 aufschließt. Wir hätten unmöglich nochmal zulegen können. Aber ich war innerlich schon ruhiger und sagte mehrmals zu Marek “da kommt nichts mehr von hinten”. Die Wahl des Mountainbikes erschien uns jetzt als goldrichtig. Müdigkeit verspürten wir beide nicht. Die Beine waren hinüber, aber das Problem hatten wir sicher nicht exklusiv.
Km 80 stellte sich nach langem Überreden endlich ein. Schlappe zehn Kilometer für jeden noch zu laufen. Es schmerzte jetzt bei jedem Anlaufen und man konnte immer ein Stöhnen vernehmen. Trotzdem wechselten wir inzwischen alle 200 bis 300 Meter, vor Hügeln auch mal nach 100 Metern. Das Teamwork funktionierte und wir arbeiteten unermüdlich für den anderen. Für sich allein, wir wären längst stehengeblieben. Jetzt noch das Ding aus der Hand geben? Klare Gedanken fassten wir nicht mehr viele, jeder Atemzug wurde in die Fortbewegung gepumpt. Aber mit jedem Schritt und mit jedem Tritt glaubte ich mehr daran, dass unsere Harakiri-Taktik aufgehen wird. In der Phase gelangen mir ein paar Bilder mit dem Telefon. Trainer lehren ja, in solchen Phasen in kurzen Meilensteinen zu denken. Der nächste Meilenstein war also der Wechsel aufs Rad. Ich brüllte irgendwas in die Landschaft. Aber außer den Vögeln hörte uns niemand zu. Mehrmals dachten wir beide an Gehpausen. Und immer wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt so ein Verpflegungspunkt daher. Kurz vor dem bei Km 90 fragte uns der Mann im Golf, welche Startnummer wir hätten. Uns hatte hier wohl niemand auf der Rechnung!? Wir selbst hatten das übrigens auch nicht. Ich frage die Mädels am Checkpoint sicherheitshalber, ob wir wirklich auf Position 2 lägen und twitterte das auf dem iPhone. Zu unserer Überraschung folgte nun ein Abschnitt mit Kopfsteinpflaster, der es in sich hatte. Kaum Möglichkeiten, am Rand zu fahren. Das Rad wackelte wie blöd und schüttelte den Radler durch. Zum Ende folgte also noch eine echte Geduldsprüfung. Als ob es davon nicht genug gegegen hätte. Denn diese Steine wollten kein Ende nehmen. Immer wieder hängte der Läufer den Radler unfreiwillig ab. Mein Forerunner war nun leer. “Hast du das Schild gesehen?” fragte ich Marek. Und ich meinte das 95 Km-Schild.
Die letzte Luft kam nun bei uns an. Sie hatte sich auch sehr lange bitten lassen. Wir sahen die ersten Häuser und vereinzelt sogar applaudierende Menschen. Neuzelle war erreicht. Marek fragte mehrmals, wie weit es noch sei, während ich Ausschau nach dem Glockenturm des Klosters hielt. Wir waren völlig leer. Die Schritte wirkten fremdgesteuert. Es ging kräftig bergab und ich erblickte den Turm. Ich habe mich noch nie über den Anblick eines Kirchturms so gefreut. Wir wechselten ein letztes Mal. Ich traute mir jetzt zu, zu Ende zu laufen. Wir sahen unser Auto und Marek realisierte erst in diesem Moment, dass wir kurz vor dem Ziel sind. Ich packte ihn am Arm, weiß aber nicht mehr, was ich gesagt habe. Hand in Hand runbiketen wir die Zielgerade hoch. Der Sprecher begrüßte uns und wir müssen etwas ungläubig vor dem Tor gestanden haben. Jetzt fiel alles ab und die Erleichterung brach sich Bahn. Das sind die Momente, für die wir laufen. Die beiden Sieger gratulierten gleich – echte Sportsmänner. Sie hatten das Ziel bereits 25 Minuten vor uns erreicht. Doch für uns war das in diesem Moment nicht relevant. Wir konnten unser Glück und unsere Leistung noch nicht fassen. Harakiri beim Debüt.
So endete in der Morgensonne eine unglaublich lange, harte, intensive und wunderschöne Nacht.
Die Märkische Oderzeitung schreibt über den Run & Bike: http://www.moz.de/heimat/lokalredaktionen/eisenhuettenstadt/artikel0/dg/0/1/1147471/
Bericht von den Laufpiraten im Runnersworld-Forum: http://forum.runnersworld.de/forum/blogs/power-runner/4406-100-km-run-bike.html
von Henrik | 08.05.13 | Strecken, Zukünftiges
Wir kommen. Einige Tage stand unser Start beim Run & Bike Neuzelle auf der Kippe. Keine Veranstaltung ist es wert, eine unfreiwillige Auszeit von mehreren Wochen oder gar Monaten zu riskieren. Mareks Verletzungssorgen waren latent und wenn wir ganz ehrlich sind, 100%-ig beseitigt sind sie nicht. Sein Belastungstest im Rahmen der BIG25 macht zumindest Mut, dass unser Vorhaben in der Nacht von Freitag auf Samstag glücken kann. Nochmal zum verwegenen Plan: Startschuss ist um 24:00 Uhr vor dem Kloster Neuzelle in Brandenburg. 45 Zweierteams werden auf eine Strecke von 100 Km auf der Mönchstour gehen. Hilfsmittel ist ein Fahrrad, das sich hinter dem Läufer bewegen muss. Wir haben null Erfahrung mit solchen Events. Und vielleicht können wir genau das in einen Vorteil ummünzen.
Denn dieser Lauf ist wie für uns gemacht.
Jeder von uns muss mehr als einen Marathon laufen. Wie schnell das geht: wir haben keine Ahnung. Wie oft wir wechseln sollten: wir haben keine Ahnung. Aber wir kennen uns beide extrem gut und können, wenn es richtig hart werden wird, die Kräfteverhältnisse einschätzen. Machen wir uns nichts vor, die ersten 60 Km sind Vorgeplänkel. Es wird zum Ende hin wichtig werden, im Kopf klar zu sein und den richtigen Partner an der Seite zu haben. Wir lassen das einfach auf uns zukommen. Vielleicht schaffen wir es, den einen oder anderen Tweet von der Strecke abzusetzen. Priorität werden aber Navigation und Verpflegung haben. Neuzelle, wir kommen.
von Henrik | 21.04.13 | Trainingstagebuch, Zukünftiges
Den Durchbruch des Frühlings hatten wir uns anders vorgestellt. Tief saß der Schock nach den Anschlägen beim Boston Marathon am Montag, die die Nachrichtenlage dieser verrückten Woche dominierten. Doch anstatt panisch zu reagieren, offenbarte sich rasant eine ungeahnte Solidarität innerhalb der Läufergemeinde. Es wurde einfach weitergelaufen, Kilometer für Kilometer und Meile für Meile wurden in Erinnerungen an die Opfer abgespult. Die großen Marathons in London und Hamburg am Sonntag wurden zu wahren Lauffesten – das war Werbung für unseren Sport und ein wunderbares Zeichen: in beiden Städten zählten die Veranstalter mehr Zuschauer als je zuvor. Die Elite-Athleten liefen nicht ganz so schnell wie erwartet, aber das störte niemanden. Was nehmen wir mit? Ein sehr gutes Gefühl, dass die Läufergemeinde näher zusammengerückt ist. Wir halten es in diesem Sinne, laufen weiter wie bisher und trainieren auf die Wettkämpfe im Mai hin. Vor unserem gemeinsamen Saisonhighlight, dem Run & Bike am 10.05. in Neuzelle stehen für mich noch der Frühjahrslauf in Dachau über 10 Km und der StrongmanRun auf dem Plan. Letzterer ist zwar nur ein Spaßwettkampf, sollte aber nicht unterschätzt werden. Auch in diesem Jahr sind 15 Hindernisse auf 22 Kilometern zu überwinden. Ich hoffe auf tatkräftige Unterstützung der RUNNING Company. Sollte nichts schiefgehen, treten wir dort zu dritt an. Schließlich folgt am 26. Mai zum Abschluss des intensivsten Monats noch meine 8. Teilnahme am Rostocker Citylauf, wo ich mich voraussichtlich wieder auf der Halbmarathon-Distanz versuchen werde. Marek überlegt noch, ob er am 5. Mai doch wieder bei den BIG 25 in Berlin antritt. Seine letzten beiden Trainingswochen liefen aber aufgrund von Rückenproblemen alles andere als gut. Doch wir wissen aus Erfahrung, dass er auch ohne intensives Training zu Bestleistungen in der Lage ist. Soll er also kommen, der Mai.