IMG_9877Diese Nacht wird uns noch einige Zeit in Erinnerung bleiben. Vielleicht ja sogar mehr als unsere erste Nacht bei unserer Premiere beim Run&Bike Neuzelle vor zwei Jahren. Das Ergebnis liest sich ernüchternd und ist es auch, ohne Wenn und Aber: DNF. DID NOT FINISH. Der Alptraum eines jeden Sportlers. Für uns wurde dieser heute Nacht das erste Mal überhaupt wahr.

Um kurz nach halb sechs in der Frühe saßen die Running Twins im Rettungswagen des Deutschen Roten Kreuzes vor dem Klosterportal in Neuzelle. Silvana hat sich unserer angenommen und uns mit Rettungsdecken, einer warmen Standheizung und einem heißen Kaffee versorgt, so dass wir langsam wieder auftauen konnten. Zu dem Zeitpunkt war unsere zweite Teilnahme bei diesem schönen Event seit mehr als einer Stunde vorzeitig beendet. Was war passiert?

IMG_9874Mit großen Erwartungen sind wir angetreten. Und nichtmal ansatzweise konnten wir umsetzen, was wir uns für die 100km vorgenommen hatten. Es lief einfach nichts, aber auch gar nichts zusammen. Die Chronologie unseres Scheiterns: nach dem Start um 00:00 bildete sich schnell eine Gruppe mit 5 Teams, die das Feld anführten. Am Anfang läuft es locker und leicht, wir wechseln wie geplant in kurzem Rhythmus, kein Team will sich vorzeitig absetzen. FEHLER Nr. 1: wir haben die Wechsel nicht geprobt vorher. Kurz vor knapp haben wir uns für das Damenfahrrad von Britta entschieden und nicht für Mareks MTB. Damit klappt der Einstieg zwar leichter, aber der Rücktritt macht uns riesige Probleme. Nach 4km fliege ich mitsamt unserer Ladung (Gels, Trinkflaschen, Jacke, Riegel) auf die Nase und muss alles mühselig einsammeln und den Jungs hinterherheizen. Auch der Sattel ist viel zu tief. Einen Schlüssel dafür hatten wir (natürlich) auch nicht mitgenommen. Während die anderen fast mühelos wechseln, muss unser Biker immer wieder von hinten aufholen. Das Ganze zieht sich bis km20. Dann kommt der erste Verpflegungspunkt, den Henrik auf dem Rad absolviert. Stempel nicht vergessen – wo war denn gleich die Stempelkarte? Vorne setzen sich die beiden Jungs Tobias und Ron von Fortuna Marzahn ab. Keiner kann und will dem Tempo folgen, wir sind zu dem Zeitpunkt trotzdem noch mit unter 4min/km unterwegs.

Es geht an der Oder entlang. Und es wird immer kälter. Das eine paar Handschuhe hilft auf dem Rad nur kurzzeitig. Ich merke, wie meine Finger mehr und mehr einfrieren. Der Nebel ist teilweise so stark, dass auch mit der irren Beleuchtung (zwei Halogen am Rad, zwei Stirnlampen, zwei runlights am Körper) keine 2m Sichtweite herrscht. Eine Weile wechseln sich die Positionen 3, 4 und 5 miteinander ab. Dann müssen wir auch Thomas und Stefan ziehen lassen. Kurze Zeit später rücken Sebastian und Mathias nach. Wieder können wir nicht folgen. Der erste Dämpfer ist da: dass wir so “früh” den Kontakt zur Spitze verlieren, hatten wir nicht erwartet. Von da an sind wir allein unterwegs. Wir versuchen, das Tempo weiter konstant zu halten, als es auf die Straße Richtung Wiesenau geht. Endlich weg von der nebligen Oder. Nur die Temperaturen scheinen immer weiter zu fallen. Unser Getränkevorrat ist da bereits erschöpft. Das kalte Wasser wird schnell ungenießbar.

Dann ist der Verpflegungspunkt bei km53 endlich erreicht: ich übernehme diesmal den läuferischen Teil, Henrik füllt die Vorräte auf. Den Anstieg laufe ich gemächlich hoch. Dann geht es links weg Richtung Süden und siehe da – Henrik rollt mit den Vorräten heran. Ich vernehme nur kurz:

  • “Very bad news”.
  • “??? Was soll das heißen verdammt?”
  • “Glaube, wir verlieren Luft vorne im Reifen.” – ich halte an und checke.
  • “Verdammt. Kann doch nicht wahr sein!”

Ich schmeiße mich aufs Rad und schreibe unserer Supporterin Kathi per Facebook: “Pumpe!”, “Platten!”. Sie wollte bei km70 auf uns warten. Dass sie noch antwortet und die Pumpe einpackt, bekomme ich nicht mehr mit. Woher also mitten in der Nacht eine Luftpumpe organisieren? Kein Feuerwehrmann hat etwas parat. Noch ist ein wenig Luft auf dem Reifen. Kurz vor km60 fragt Henrik weiter verzweifelt jeden einzelnen, der an der Strecke ist. Und das waren zu dem Zeitpunkt nur sehr Wenige. Dann endlich scheint er Erfolg zu haben. Ich laufe schon vor und sehne die erlösende Nachricht herbei. Es zieht sich. Mir kommt das Streckenfahrzeug entgegen. Der Herr fragt, wo denn mein Kollege sei (er hatte mittlerweile von vorne eine Pumpe organisiert!). Ich werfe ihm nur “er kommt gleich” entgegen. Es keimt wieder Hoffnung auf. Plötzlich kriege ich einen Bärenhunger. Es bleibt nix erspart. Ich muss die erste Gehpause einlegen, kann dann aber weiterlaufen. Und Henrik sollte doch gleich aufschlagen mit unserer reichhaltigen Verpflegung!

Ich höre nach einer endlos erscheinenden Zeit die Radgeräusche hinter mir. Auch die nächste Konversation bleibt dauerhaft in meiner Erinnerung:

  • “Stell’ jetzt bitte keine Fragen, wir haben ein anderes Rad.”
  • “Wie meinst du das, ein anderes Rad?” (ich sehe jetzt erst den anderen Drahtesel, den Henrik bei einer Dame eingetauscht hat).
  • “Ich habe Riesenhunger. Wo ist unser Essen?”
  • “Alles dagelassen. Wir haben nix mehr jetzt. Was sollte ich machen?” (das Rad ist ein älteres Rennrad, das nicht mal eine Flaschenhalterung besitzt)
  • “Ich muss etwas essen. Sonst ist hier und jetzt Feierabend!”

Henrik zieht noch ein Gel aus der Jacke und überlässt es mir. Besser als nix. Und es hilft tatsächlich. Eine Trinkflasche hat er noch in der Hand, auch das tut gut nach dem langen Intervall. Dann geht es in den Wald. Der Sattel des Rades ist so übel eingestellt, dass ein vernünftiges Fahren nicht machbar ist. Auch die Wege werden schlechter. Nun wollen wir beide nur noch laufen. Das geht erstaunlicherweise recht passabel. Ich wuchte das Rad über die sandigen Pisten, sehe die Querspuren unserer Vorderleute. Hier wurde hart gekämpft! Und dann geht es raus aus dem Wald. Fast unbemerkt ist es mittlerweile hell geworden.

IMG_9876Wir übersehen fast Kathi bei km65. Der erste Blick haftet am Auto, die linke Vorderseite ist demoliert. “Ein Reh war das.” Ungläubig wechseln wir die Blicke, ziehen uns aber dann mit vollem Genuss den heißen Tee rein. Zu essen hat sie leider nichts dabei, wo wir doch mittlerweile jede Banane mit Kusshand nehmen würden. Wir stehen ca. 10min bei ihr. Platz 6 überholt uns. Weitermachen? Aufhören? Wir kühlen so schnell aus, ohne es zu merken. Noch einmal mobilisieren wir alle Kräfte und ich renne los. Kathi fährt nun ein paar Meter voraus, hat uns fest im Rückspiegel im Blick. Das Laufen geht erstaunlich gut. Nur Henrik wird immer kälter auf dem Rad.

Km68, direkt vor dem Eingang des Campingplatzes. Kathi wartet auf uns. Henrik kann kaum mehr treten, die Kälte ist trotz der 4 Lagen und den Handschuhen unerbittlich. Wir sprechen nur kurz miteinander. Die Entscheidung ist einstimmig: aus und vorbei. Das Risiko wäre zu groß. Kathi bietet uns noch ihren Hoodie an. Doch nochmal los? Nein, auch Henriks Kopf kann sich nicht mehr umentscheiden. Mit letzter Kraft bauen wir das Rad auseinander, setzen uns ins warme Auto und nehmen Kurs Neuzelle.

Im Ziel wollen wir erst in die Turnhalle. Die warmen Sachen aus dem Auto können wir nicht holen – mein Autoschlüssel war noch in der Fahrradtasche! Wir kommen am DRK-Wagen vorbei und fragen nach Decken. Die beiden Sanis suchen eine Ewigkeit und wir frieren entsetzlich. Dann kommt Silvana und nimmt die Sache in die Hand. Wir beobachten respektvoll aus dem Wagen, wie David und Tim mit 06:24 einlaufen. Tobias und Partner kommen zehn Minuten später, Thomas und Stefan laufen 06:39. Als ich dann in der warmen Morgensonne auf Henrik und Gregor warte (die das Rad aus Groß Lindow von Stefans Frau holen wollen!), kommen Thomas und Stefan vorbei. “Haben schon gehört von Euch. Bei uns lief es auch nicht!” So kann man es natürlich auch sehen!?. Aber auf die Medaillen blicke ich schon neidisch. Das Gefühl, ohne Medaille abzureisen, liegt mir schwer im Magen.

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Was nehmen wir mit aus dieser Nacht?

Selbstkritisch genug sind wir, um das Ergebnis richtig einzuordnen. Das war ein ordentlicher Schuss vor den Bug dieser bisher so guten Saison. Das DNF hätten wir uns natürlich an anderer Stelle gewünscht. Viele kleine auch taktische Fehler (keine Luftpumpe, keine Wechsel geprobt, zu kalt angezogen, zu schnell losgelaufen, keinen Plan B) haben wir gemacht und somit das Resultat selbst verschuldet. Hinzu kommt ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung, dass wir das Ergebnis von vor zwei Jahren locker schaffen könnten. Doch damals hatten wir viel, viel Anfängerglück. Das war dann wohl aufgebraucht. Das DNF nur mit den Materialproblemen zu erklären, wäre zu einfach. “Ist der Lauf nicht dein Freund, ist er dein Lehrer.” Selten hat etwas besser gepasst zu dieser Nacht. DUMM gelaufen.