Henrik rennt die spektakulären Trails dieser Welt auf Gran Canaria oder La Palma und ich mache es mir hierzulande gemütlich. Mein 2. Ultra in diesem Jahr führte mich wieder auf den sagenumworbenen Rennsteig. Letztes Jahr konnte ich mich im Vergleich zu unserem ersten gemeinsamen Auftritt beim Supermarathon gut verbessern. Die Vorbereitung in den ersten 4 Monaten in diesem Jahr weckte allerdings keine großen Hoffnungen, dass da nochmal eine Steigerung möglich wäre. Zuversichtlich stimmte mich mein Auftritt beim Spreewald-Marathon Ende April, wo ich immerhin noch eine 02:59 entführen konnte. Aber so ein schneller Marathon wirkt eben nach und ich hatte echt 2 Wochen danach noch damit zu kämpfen. Die Woche vor dem Rennsteig war dann aber wieder entspannt, so dass ich letztendlich froh war, dass die liebe Gabi mir ihren Startplatz über die 73,9km vermacht hatte.

Logistisch gab es durch Stefans Crew quasi einen All-Inclusive-Service. Stefan wollte zum 8. Mal in Folge nach Schmiedefeld stürmen, aber ein Infekt ließ das Vorhaben dann platzen. Trotzdem holte er mich Freitag Abend aus Ilmenau ab und wir machten mit Christian und 2xMarkus etwas Carbo-Loading im Gasthof. Kaum zur Türe rein, erblickten mich Falk und Andreas und wir freuten uns sehr über das ungeplante Wiedersehen. Viel Schlaf gibt’s vor dem Lauf üblicherweise nicht, um Punkt 03:20 klingelte der Wecker und Stefan kutschierte uns nach einem kurzen Frühstück lässig zum Start nach Eisenach. Das Wetter war im Gegensatz zu der ganzen Woche unglaublich schön, es sollte fast zu warm werden. Kurze Zeit später ging es schon zum Schneewalzer über, ein paar bekannte Gesichter konnte ich noch begrüßen, bevor die mehr als 2000 Supermarathonis auf die Reise geschickt wurden. Das schönste Ziel der Welt wartete auf uns!

Davor waren aber noch knapp 74km und 1874 positive Höhenmeter zu absolvieren. Die Strecke kannte ich von den zwei vorherigen Exkursionen zumindest halbwegs gut. Was war eigentlich möglich? Wenn es perfekt laufen würde, dann spekulierte ich mit einer kleinen Verbesserung der 06:27 aus 2018. Alle anderen Hirngespinste in Richtung der 6h verwarf ich sofort, damit ich gar nicht auf dumme Ideen kommen kann. Ich sortierte mich diesmal etwas weiter vorne ein und versuchte, die 25km bis zum Inselsberg zügig aber kontrolliert hochzukommen. Die ersten Grüppchen bilden sich immer recht schnell, aber ich versuche wirklich nur auf mich zu schauen und mich nicht mitziehen zu lassen. Am finalen Anstieg habe ich zwar das Gefühl, dass es vor einem Jahr fluffiger lief, aber ich passiere dennoch 3min eher die Zeitmatte auf dem Gipfel bei 02:09. Stefan signalisiert mir, dass ich die gleiche Zeit habe wie er 2018, das hilft mir gut weiter. So schlecht war der Auftakt dann wohl nicht!

Die anschließende Passage runter ist die steilste des Rennens, sie liegt mir nicht so richtig gut. Aber das Selbstvertrauen ist da, was habe ich schon zu verlieren? Der Weg zur Ebertswiese bei km37,5 -der Halbzeit des Rennens- verleitet leicht zum Überpacen. Es geht nur moderat hoch und öfters angenehm runter. Die 3km-Betonpiste ist eher was für die Straßenläufer unter uns, sie passt einfach nicht so recht ins Bild der gewohnten Waldautobahnen. Schnell sind die ersten 30km verflogen, aber ab dann schaut man doch öfters auf die Uhr, die Beine werden schwerer und die sonnigen Passagen nerven. Bis zur Ebertswiese quäle ich mich etwas dahin und bin ziemlich erleichtert, als ich endlich am Checkpoint eintreffe. Ich liege tatsächlich noch gut in der Zeit: satte 4min betrug das Polster mittlerweile. Aber mir war spätestens zu dem Zeitpunkt sonnenklar, dass ich die Pace nicht würde aufrechterhalten können. Ich ließ mir einiges an Zeit und ging die folgende Rampe nur hoch, vor drei Jahren war dieser Anstieg mein gefühltes Ende und auch jetzt hätte ich mich mit dem Ende des Rennens durchaus anfreunden können. Bis hierhin empfand ich es auch voller auf der Strecke im Vergleich zu 2018. Das änderte sich dann aber schlagartig und ich war mit mir und meinem Schicksal von nun an (fast) allein.

Die Passage auf die Neuhöfer Wiesen ist die mit Abstand schlimmste des ganzen Rennsteiglaufes. Höhenmeter kann man langsam aber sicher keine mehr sehen und die Sonne brennt unaufhörlich auf einen runter. Mich beschleicht das Gefühl, dass einige Wege erst kürzlich neu geschottert wurden, jedenfalls gibt es Steine satt. Nicht unbedingt mein favorisierter Belag für zügiges Vorankommen. Genau genommen bin ich etwas genervt davon. Aber die VPs entschädigen jedesmal für die Plackerei, wohin man auch schaut, lauter freundliche und lachende Menschen, alles ist furchtbar unkompliziert. Nur habe ich zu dem Zeitpunkt schon mehr Gehpassagen als vor einem Jahr im gesamten Rennen. An den Neuhöfer Wiesen bei km45 schütte ich dann erstmals Cola in mich hinein und versuche mir den kommenden Abschnitt bis zum Grenzadler nach Oberhof schön einfach vorzustellen. Ist dieser auch, es mehren sich trotzdem die Kilometer mit einer 6 oder 7 vor dem Komma. So langsam gibt es auch erste “Opfer” eines zu schnellen Anfangstempos, auch Krämpfe gesellen sich bei manchem dazu. Kurz vor dem Grenzadler kann ich noch einen kleinen Zahn zulegen, aber auf der Matte in Oberhof bin ich tatsächlich nur noch wenige Sekunden unter der Durchgangszeit aus 2018. Von dort sind es nur noch 20km.

Ich walke aus dem VP auf die erste Steigung zu und höre, wie die zweite Frau, Basilia Förster, hinter mir angesagt wird. Kurze Zeit später erscheint sie auch schon im Blickfeld und zieht mühelos an mir vorbei. Auch dieser Anstieg hat schonmal besser funktioniert! Danach kann man gut runterbrettern, am Rondell wartet wieder Stefan, ich sehe schon ziemlich kaputt aus, als ich von der Brücke torkele. Das wird noch eine ganz harte Nummer heute, so versuche ich mich gedanklich auf den letzten Anstieg zum Großen Beerberg vorzubereiten. Eigentlich ist dieser gar nicht so dramatisch und lang (steil sowieso nicht). Aber auch hier spielt kann ich den Kopf nicht mehr zum Laufen überreden und erreiche etwas angeschossen den höchsten Punkt des Rennens. Immerhin habe ich diesmal das Schild erblicken können. Und von da an heißt es wieder laufen – der Abstieg hält einige steinige Wege bereit, jedoch keine anspruchsvollen, so dass man ab hier richtig Tempo machen kann. Sodenn es die Beine noch hergeben. Der neue Umweg zur Schmücke ist gemein, man hört schon den Lärm, aber muss dann noch eine 2km-Schleife laufen, bis man ins Tal an den VP kommt. Hier gibt es bereits das Köstritzer Schwarzbier, aber mi fällt nicht im Traum ein, das mir jetzt einzuhelfen.

Auf geht’s in den Abstieg ins schönste Ziel der Welt! Auf der kurzen trailigen Passage kommt die Erinnerung an 2016 hoch, als ich Henrik bei unserer Premiere wieder eingesammelt habe. Auf der Zick-Zack-Runde motiviert mich ein “Sauber, gib weiter Gas!”, nochmal alles zu versuchen, um vielleicht doch noch die 06:30 zu knacken. Ich rechne etwas hin und her, aber eine 04:30er Pace erscheint mir nicht mehr möglich bis ins Ziel. Weil da eben noch ein Anstieg dazwischenliegt. Wann kommt der Tag, an dem ich diesen hochlaufen werde? Der heutige war es jedenfalls nicht, ich lasse dadurch noch einige vorbei. Es ärgert mich nicht sonderlich. Dann kommen die Wanderer auf unseren Weg, auf diesen Zeitpunkt habe ich mich wirklich gefreut. Der Applaus und die Motivationsrufe können einen ordentlich pushen. Zeitweise ist die Strecke fast zu voll, aber es sind alle sehr aufmerksam und machen rechtzeitig Platz. Ich mag diesen Abschnitt. 3km vor dem Ziel sieht man Schmiedefeld und ich hampele mit den Damen hinter den Riesen-Boxen und der lauten Musik rum, die richtig gute Stimmung machen.

Trotzdem zählen die Kilometer nur quälend langsam herunter. Noch ein Haken, noch eine Straßenquerung, es will partout kein Ende nehmen. Der Körper schreit schon verzweifelt nach Anhalten, aber noch ist Schmiedefeld ein paar Meter entfernt. Tatsächlich gehe ich nochmal einige Meter, bevor mich die Wanderer zum Weiterlaufen überreden können. Und endlich kann man auf die Zielgerade einbiegen. Ich lege mit letzter Kraft noch einmal einen Zahn zu, kann noch jemanden einsammeln, aber für eine 06:29 reicht es nicht mehr. Mit 06:30:32 werde ich schließlich gezeitet, der Arbeitstag ist vorerst ohne Blessuren beendet. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis, meine Einschätzung vor dem Rennen war recht zutreffend. Mit viel Aufwand und Einsatz wäre womöglich eine 06:25 machbar gewesen. Aber zu welchem Preis? Basilia läuft kurz vor mir ein, runter ging es folglich ganz passabel, nur hoch hatte ich diesmal wesentlich mehr Mühe als erwartet. Setzt man aber die Trainingskilometer in Relation, ist das Ergebnis wirklich kein Beinbruch. Und so halte ich mich nicht sonderlich lange im Zielbereich auf, hole meine Tasche, dusche, sacke das Finisher-Shirt ein und mache mich mit dem Gefühl, einen guten Lauf hingelegt zu haben, auf den Rückweg in Richtung Berlin.

In jedem Fall ist der Rennsteig ein guter Formtest. Rennsteig-Insider und Laufmentor Falk analysiert noch am Telefon meine Zwischenzeiten und wirft den etwas zu schnellen Split zum Inselsberg ein. Ja, vielleicht hätte ich es etwas ruhiger angehen sollen. Aber das ist dann wirklich Jammern auf hohem Niveau. Dafür, dass ich in diesem Jahr soviel um die Ohren habe und kaum Höhenmeter im Training machen konnte, bin ich mit mir im Reinen. Vielleicht ist ja der Rennsteig 2020 wieder ein guter gemeinsamer Vorbereitungslauf für den TAR. Man kommt einfach immer wieder gerne in den Thüringer Wald, um ein gelungenes Wochenende mit den Lauffreunden zu verbringen. Bis zum nächsten Jahr!

Die schicken Bilder sind wie immer vom Foto Team Müller.