Vor dem Start in Eisenach

Vor dem Start in Eisenach

Das ist der traditionelle Gruß von Wanderern auf dem Rennsteig, dem ältesten und meistbegangenen Weitwanderweg Deutschlands. Vor fast einem halben Jahrhundert kam jemand auf die Idee, hier einen Lauf zu veranstalten und seitdem ist der Rennsteig wohl auch der meistbelaufene Wanderweg. Legenden ranken sich um den Rennsteiglauf und ein fast unheimlicher Hype sorgte dafür, dass sich mehr als 18.000 Teilnehmer über alle Strecken zur 44. Ausgabe angemeldet hatten. Für uns sollte es nicht weniger als die Königsdistanz sein, der “Supermarathon” über 72,7 km von Eisenach nach Schmiedefeld. Nach dem Wings for Life World Run vor zwei Wochen sollte das ein ganz anderes Rennen werden. Und das wurde es.

Der Optimismus hielt sich noch in Grenzen

Wir gaben uns das volle Programm und nächtigten in der Gemeinschaftsunterkunft in einer Eisenacher Schule. Es sollte nicht die einzige “harte” Erfahrung des Wochenendes bleiben. Schon hier und bei der Startnummernausgabe bemerkten wir die Begeisterung der Helfer, von denen mehr als 1.600 am Wochenende im Einsatz waren. Die Kloßparty ließen wir Kloßparty sein. Viel Schlaf bekamen wir nicht, denn um 6 Uhr fällt der Startschuss für Ultramarathonläufer auf dem Marktplatz in Eisenach. Die Zeit ist gut gewählt, denn die Mittagshitze wollten wir uns möglichst ersparen. Wir trafen noch so einige Bekannte im Startbereich und machten Selfies, das dämpfte die Aufregung. Das Rennsteiglied lief in der Schleife -auch das war hart-, dann knallte es schon und etwa 2.000 Ultras wetzten Richtung Rennsteig.

Das Höhenprofil ist schlimmer, als es aussieht (Bild: rennsteiglauf.de)

Wir hatten uns die Strategie zurechtgelegt, die ersten Hälfte nicht schneller als 5:30 min/Km zu laufen und möglichst bis Km 54 beim “Grenzadler” zusammenzubleiben. Und man höre und staune, das hat gut funktioniert. Das Streckenprofil spricht Bände. Es geht bis Km 25 etwa 700 HM hinauf. Nie so richtig steil, sondern immer quälend langsam. Bis zum Großen Inselsberg passierte eigentlich nicht viel. Wir liefen relativ locker, wie das eben bei einem ansteigenden Kurs so möglich ist. Nach dem Selfie verloren wir uns kurz, weil Marek die Abstiege viel vorsichtiger anging. Dafür war er aber bergauf optimistischer unterwegs. Der Strecke konnten wir -bis zum Ende- nicht viel abgewinnen. Der Trail-Anteil war relativ gering, zum großen Teil ging es nur über endlose Forstwege mit wenigen schönen Ausblicken auf den Thüringer und Frankenwald.

Selfie-Stop auf dem Großen Inselsberg bei Km 25

Bei Ultraläufen kommen die Tiefs – früher oder später. Schon nach 30 Km war ich an der Reihe und schlurfte Richtung Ebertswiese. Wir waren dementsprechend nun etwas langsamer unterwegs. Halbzeit auf besagter Ebertswiese in etwas über 3,5h – Volltreffer! Hier ging ich aufs Ganze und kippte mir einen Becher Haferschleim rein, Marek traute sich nicht. Bis etwa einen Kilometer hinter der Marathonmarke ging es nun weiter hoch und wir gingen die Anstiege nun hoch, so zügig, wie es eben “ging”. “Wie heißt dieser Berg?” fragte ich einen Überholer. “Drecksberg!” Auf dem ausnahmsweise etwas steileren Anstieg zur Neuhöfer Wiesen verloren wir uns und ich konnte Marek nicht mehr sehen. Also begab ich mich erstmal allein auf die weitere Reise. Martina aus dem Laufen gegen Leiden-Läuferrudel nordicwalkte die 35 Km-Strecke und machte ein schönes Bild, als ich sie überholte. Die Laune war jetzt wieder gut, auch wenn die Beine schon schwer waren.

Allein hinter der Marathonmarke - danke Martina für das Bild

Allein hinter der Marathonmarke – danke an Martina für das Bild

Bis zum Grenzadler geht es nochmal gute 100 Höhenmeter hinauf. Hier tat ich mich wieder sehr schwer und kämpfte nun mit dem 6 min/Km-Schnitt. 100 Meter laufen, 100 Meter gehen, es war ein skurriles Treiben. Manche Läufer liefen gefühlte 15 Mal an mir vorbei. Das 50 Km-Schild war eine gewisse Erleichterung und ich konnte nun wieder zulegen. Nichtsahnend, dass Marek nur wenige hundert Meter hinter mir lief und den Abstieg zum Grenzadler ebenso für einen gewaltigen Spurt nutze. Ich war nicht mehr so ganz orientiert und lief einem Läufer hinterher, der allerdings das Rennen hier beendete. Die nachgerufene Bemerkung der Polizistin “der will auch raus” bewahrte mich vor einem größeren Umweg. Ich wollte das Hoch so lange wie möglich ausnutzen und spurtete nach Tee und Cola gleich weiter. Nach “Spurt” sah es aber für Außenstehende wohl nicht aus.

Die magische 50 mit Marek

Die magische 50 mit Marek

Bis etwa Kilometer 58 machten Körper und Geist mit. Ich lukte immer auf die Wanderschilder, um die Entfernung zum Gipfel des Großen Beerbergs abschätzen zu können. Der letzte Gipfel! Die gut 2 Kilometer Aufstieg auf dem ätzenden Forstweg zogen mir dann aber den Stecker. Der tiefste Tiefpunkt war erreicht und ich wurde von so einigen Läufern kassiert, die ich noch nach dem Grenzadler überholt hatte. Das ist Ultralaufen – es geht verdammt schnell auf und ab in Körper und Kopf. Auf den “Gipfel” des Beerbergs wies ein Schild hin und ich stolperte weiter, allerdings weigerten sich die Beine, wieder zuzulegen. Eine ganz bittere Passage war das und ich schaltete in den Nur-noch-ankommen-Modus. Es tut nicht mal mehr weh, wenn die Läufer vorbeifliegen. Schön wäre es gewesen, wenn die Kilometerschilder am Wegesrand nun runtergezählt hätten. Stattdessen verwirrte man die Ultraläufer mit aufsteigenden Markierungen für den Halbmarathon.

Blick auf die Uhr, nachdem Marek vorbeiflog

Und dann kam, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Marek lief lockeren Schrittes und mit dem Smartphone filmend an mir vorbei. Für einen Moment überlegte ich, ob ich ihn fragen sollte, ob er mit mir zusammen bleibt, aber er hatte so einen Speed drauf, dass ich ihn mit “Lauf zu!” weiter drängte. Im Nachheinein betrachtet war das doof. Aber nach 65 Kilometern ist man zu logischen Entscheidungen nicht mehr fähig. Ich war mir sogar sicher, dass er noch an die 7 Stunden ranlaufen könne. Enttäuscht war ich, dass selbst die etwas steileren Abstiege richtig schwer waren, die mir eigentlich gut liegen. Jetzt sollte doch der Endspurt kommen? Er kam auch, aber noch nicht für mich.

Der Zielbogen, der keiner war – wie gemein

Bis zum letzten Verpflegungspunkt Kreuzwege geht es tatsächlich noch mal hoch, lächerliche 30 Höhenmeter. Aber aus denen wird nach dieser Strecke der gefühlte Col du Tourmalet. Ich überholte im Hochgehen(!) noch zwei Läufer und -endlich- ging es auf einem breiten Weg runter nach Schmiedefeld. Erklären kann man das nicht, warum der Körper kurz vor Ende eines Ultralaufs nochmal umschaltet. Die Walker machten artig Platz und applaudierten jedem Ultraläufer. “Noch ein Kilometer, dann kannste Bier trinken” rief mir ein Junge zu. Ich konnte jetzt schon wieder lachen und freute mich auf den Zieleinlauf. Der fiel dann wesentlich unspektakulärer aus als erwartet, aber das war mir sowas von egal. Nach fast 7,5 Stunden hielt ich die Uhr an. “Erleichtert” wäre eine Untertreibung für die Beschreibung meiner Gefühlslage nach diesem Ritt über etwa 73,5 Km. Marek traf ich nur wenige Momente später, er war erst 3 Minuten früher über die Ziellinie gekrochen:

Auf allen Vieren über die Ziellinie

Endlich geschafft!

Endlich geschafft!

Wir hatten ernsthafte Probleme, wieder aufzustehen.

Wir hatten ernsthafte Probleme, wieder aufzustehen.

Der Rennsteiglauf ist eine richtig fiese Angelegenheit. Die Newcomer müssen wohl Lehrgeld zahlen. Wir hatten uns die Sache nicht ganz so hart vorgestellt. Aber die Streckenführung mit langgezogenen An- und Abstiegen und auch das im Laufe des Rennens immer wärmere Wetter ließen nicht mehr zu. Und wir könnten nun behaupten, dass bei besserer Renneinteilung… machen wir aber nicht. Wir wollten einen schönen Vorbereitungslauf für den Transalpine-Run und der ist geglückt. Für Marek war es der längste Lauf bisher. Wir haben das Teamplay gut durchgezogen bis zum Marathon. Die Begeisterung der Region und der Helfer für den Rennsteiglauf ist unglaublich. Momentan können wir uns trotzdem nicht vorstellen, das Abenteuer nochmal zu wagen. Aber was schert Läufer ihr Geschwätz von gestern. In diesem Sinne…

Gut Runst!

Glückliche Finisher