Berlin Marathon 2013Wer hätte gedacht, dass wir nach fast 3,5 Stunden zu den glücklichen Marathonfinishern gehören, die keine Sekunde bereut haben? Wer hätte gedacht, dass wir unser Zeitziel so grandios verfehlen trotz der perfekten Bedingungen, die uns Berlin bescherte? Wer hätte gedacht, dass wir noch auf der Strecke zwei neue Weltrekorde bewundern können? Wir jedenfalls nicht.

Für die Nettozeit von 3:27:46 mache ich ausschließlich mich verantwortlich. Marek lief locker, leicht und ohne jegliche Ermüdungserscheinungen, konnte jeden Meter genießen und die Stimmung aufsaugen. Ich lieferte genau das Gegenteil davon ab: verkrampft, schweren Schritts und spätestens nach der Hälfte des Rennens ausgepumpt wie eine Pfütze in der Mittagshitze. Das Verfassung von Running Twin 1 und 2 passte überhaupt nicht zusammen. Warum wir trotzdem zusammen ins Ziel liefen? Weil wir uns das genauso vorgenommen hatten. Ein Zwillingsplan bleibt ein Zwillingsplan. Und glücklicherweise galten Plan B und Plan C auch für uns beide. Marek hatte ja keinerlei zeitliche Ambitionen nach der fulminanten 2:57h vom letzten Jahr. Und vielleicht war es genau das richtige Rezept – einfach mal ambitionsfrei mitlaufen und schauen, was geht. Wir haben wieder viel gelernt.

Im Startblock D trafen wir die beiden RUNNING Company-Läufer Michael und Stefan, die ebenso guten Mutes waren. Die eine Stunde bis zum Startschuss ging schnell rum und wir begaben uns ambitionsvolltrunken auf die Reise. Diesmal liefen wir nicht Hals über Kopf los, sondern achteten peinlich genau auf das Tempo.

Km 5: “Tempo passt. Und von wegen flach!”
Km 10: “Wenn das immer so leicht im Training wäre.”

Am Strausberger Platz war der erste Meilenstein genommen und wir trafen unsere Eltern und Mareks Kollegen. Das war sehr motivierend. Runter nach Kreuzberg, alles lief wie am Schnürchen. Wir hatten den 3:15h-Zeitläufer auf Kilometer 2 überholt. Und fragten uns, welcher blaue Ballon immer so 200 Meter vor uns lief. Der 3h-Läufer konnte es nicht sein. Wurden wir unbemerkt überholt? In dem ganzen Trubel war das nicht auszuschließen. Die Strecke war teilweise recht eng und an den Verpflegungspunkten herrschte das übliche Nahkampf-Gedrängel.

Km 15: “5 Sekunden schneller müssen wir werden.”
Km 20: “Gleich Halbzeit.”

Es deutete sich schon vor der Yorckstraße an, dass es heute richtig schwer werden würde. Wir versuchten, das Tempo moderat zu verschärfen, aber das gelang nur für zwei Kilometer. Dann bremste ich erneut erfolgreich runter. Wer Bestzeit laufen will, muss hier noch locker sein und jederzeit das Tempo erhöhen können. Die Menschenmassen an der Strecke waren grandios. An denen hat es nicht gelegen.

Km 21,1: “Boah, so langsam?”
Km 25: “Kannst du nochmal zulegen?”

Die Halbmarathon-Marke wollte nicht so recht kommen und mit 1:37:28 waren wir lächerliche zwei Sekunden unter der angepeilten Zielzeit. Nun ist das mit der Extrapolation so eine Sache. Ich hoffte immer noch, dass sich das kontrollierte und keineswegs zu hohe Anfangstempo auszahlen würde. Doch genau das Gegenteil trat ein. Der Mann mit dem Hammer ließ sich nicht lange bitten und machte ziemlich ruckartig den Ofen aus. Er zertrümmerte unerbittlich jede einzelne Faser des linken Kniebeugers. Mein Kopf schaltete ungefähr bei Km 25 ab. Es war einfach zu schnell zu schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Läufermassen flogen nun vorbei. So bitter. Und noch 14 unendlich lange Kilometer.

Km 30: “Ich gehe mal den Fitschen machen.”
Km 35: “Die Bestzeit ist noch locker drin.”

Marek stemmte sich mit aller Macht gegen meinen Einbruch. Sogar eine ausgedehnte Fitschen-Pause konnte er einlegen, um mich dann ohne Probleme wieder einzuholen. Immer wieder zählte er runter und motivierte mich. Der Blick auf die Motivation Wall beim Km 34 mit Peter Maisenbacher half nicht – da stand nichts für uns. Geholfen hätte es sowieso nicht. Inzwischen trabten wir einen 5:30er Schnitt. Am Nollendorfplatz schlüpfte ein gut gelaunter Gerald durch und machte sich ans Einsammeln vieler Läufer, die mein Leiden teilten. Die Bestzeit war hier noch drin, aber dazu hätte es einer Endbeschleunigung bedurft.

Km 40: “Bringen wir es ins Ziel.”
Km 42: “Heiko, was machst du hier?”

Unsere größten Fans standen mit Megaphone bei Km 39 an der Leipziger Straße und bereiteten uns einen fulminanten Empfang. Ich war ganz schön zermürbt, dass ich das alles nicht genießen konnte. Und so schleppte mich Marek ins Ziel. 100 Meter davor holte uns Team World Vision-Läufer Heiko ein und wir liefen gemeinsam ein. Ein Gänsehaut-Abschluss des Berlin Marathons 2013 war das. Ich malte mir lange vor dem Zieleinlauf aus, dass die Enttäuschung groß sein und ich mich wohl eingraben würde.

Aber genau das passierte nicht. Es überwog die Freude über dieses tolle Event und die Menschen, die uns unterstützt und an uns geglaubt haben. Ich bin sehr stolz auf meinen Bruder. Wenn er am Sonntag nicht an meiner Seite gewesen wäre, ich hätte mich wohl heulend auf den Hollenzollerndamm gesetzt, so schwach war der Geist. Und damit war das Ende des Berlin Marathons viel zu versöhnlich und emotional, als dass wir uns über das verpasste Zeitziel hätten ärgern können.

Das hätten wir nicht gedacht.

BM2013