von Henrik | 01.03.23 | Laufen, Trailrunning, Ultra, Wettkampfbericht
Als die Iberia-Maschine mitten in der Nacht vom Flughafen Las Palmas abhob und die Lichter der Stadt verschwommen, fühlte es sich schon nach einem Abschied für länger an. Zehn Mal habe ich nun am Transgrancanaria teilgenommen. Ein letztes Mal über die Insel laufen und noch einmal das gesamte Gefühlschaos dieses Ultratrails mitnehmen, das war der Plan für dieses Jahr. Das mit dem Gefühlschaos hat zumindest wieder zuverlässig geklappt.
“Nur” der Advanced sollte es werden. Dieser wurde mal wieder deutlich verändert auf nun wieder stolze 84 Km und 4.900 Höhenmeter und der Start nach Agaete im Nordwesten der Insel verlegt. Von der Küste an die Küste klingt richtig gut. Das Getingel zum Start ins Bergdorf Artenara entfiel damit. Alles gute Zutaten für einen letzten Auftritt auf der Kanareninsel. Nach dem Lanzarote Laufcamp fühlte ich mich ganz gut in Form, allerdings bereitete mir ein Sturz über einen Fahrradständer zum Ende einige Sorgen. Bis zum Abflug nach Gran Canaria war die Prellung aus dem Knie noch nicht raus und behinderte mein Training in den drei Wochen davor.
Michael Raab kam am Mittwoch mit dreien seiner La Gomera Trails-Schützlinge rüber nach Gran Canaria, um auch am Rennen teilzunehmen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass der Lauf unter 12 Stunden zu schaffen ist, auch wenn dafür ziemlich viel passen muss. Dass ich am Ende mehr als 15,5 Stunden auf der Strecke war, hatte wie immer so einige Gründe. Es war wieder ein Abenteuer.
Um 8:00 Uhr sollte die Meute loswetzen und alle hatten vor, möglichst bald im Südpark von Maspalomas anzukommen. Von Küste zu Küste stimmte also nicht ganz, denn der “Parque Sur” ist gute 4 Km vom Strand entfernt. Aber wen interessierte schon dieses Detail. Ich war sehr müde, aber guter Dinge. Vor allem aufgrund der Wettervorhersage. Es wurde selbst im Norden Sonnenschein vorhergesagt. Das “Cold Kit” wurde auf die lange Hose beschränkt, ich hatte trotzdem langes Shirt, Handschuhe und Mütze im Gepäck.
Die ersten 600 HM kamen mir sehr bekannt vor, hier liefen wir 2017 beim Classic hoch. Ich konnte ganz gut mitgehen, ohne mich abzuschießen. Meine Hoffnungen auf einen durchgängig starken Lauf bekamen bereits auf dem ersten Abstieg nach San Pedro einen Dämpfer. Ich fand den echt steil und blieb vorsichtig, aber die Spanier überrannten mich einfach. Ich ließ mich nicht verrücktmachen. Downhill-Training war halt seit dem TAR nicht mehr vorhanden. Nun folgte einen fast 20 Km laaaaanger Anstieg nach Artenara mit kleineren Unterbrechungen. Das ist eine kritische Phase. Wer hier überdreht, bekommt früher oder später die Quittung.
Vor allem das Stück nach El Hornillo hoch tat mir nicht gut. Es war stellenweise noch matschig von der Nacht und halt wieder sehr steil. Da ging so mancher Trailrunner an mir vorbei. 2:09h zeigte die Uhr am ersten VP, das war doch deutlich länger als erwartet. Ich füllte meine beiden leeren Flasks auf, aß zwei Orangenviertel und ein paar Nüsse. Erst ab dem Stausee “Los Perez” kam ich wieder etwas ins Laufen. Ab Km 10 nur noch gehen, das würde nicht mal für den Cut-off reichen. Aber es fiel mir sehr schwer, obwohl ich schon zwei Spring Energy reingehauen hatte.
Als Artenara mit seinem Wahrzeichen, dem Mirador de Los Poetas, endlich in Sicht kam, standen schon über 3,5h auf der Uhr. Wir liefen den VP über den Sportplatz der Schule an. Dort verpflegte ich mich gut und in aller Ruhe mit ein paar Kartoffeln. Ich wusste ja, dass nochmal 600 HM bis zum Cruz de Tejeda folgen würden. Die Stimmung in Artenara war förmlich ausgelassen, da war richtig was los. Kein Vergleich zum letzten Jahr, als wir ausgekühlt drinnen saßen und auf den Bus warteten. Vorbei am Aussichtspunkt fragte ich mich schon, was das denn heute werden würde/könnte. Für mein Ziel von 12h war ich schon jetzt viel zu langsam unterwegs.
Zusetzen konnte ich auch nach dem VP nicht. Ganz im Gegenteil. Zum ersten Mal musste ich auf dem Uphill Pausen einlegen und mich hinsetzen. Meine Performance verschlechterte sich zunehmend, auch die kurzen laufbaren Abschnitte latschte ich nur. Nach einer Ewigkeit war ich um den Berg rum und erblickte den Roque Bentayga im strahlenden Sonnenschein. Bis zum Cruz de Tejeda war es nicht mehr weit und dort führte ein neuer Trail nach Tejeda. Ich fand das überhaupt nicht gut, denn der breite und nicht zu steile Downhill nach Tejeda war immer eines meiner Highlights. Und wie ich es befürchtet hatte, es folgte ein steiler Singletrail. Die Sonne brannte nun gnadenlos.
Immerhin, es war nicht rutschig und nur stellenweise matschig. Es ging dann auch noch auf sehr schmalen Pfaden durch die Hinterhöfe von Häusern und als ich die Kirche endlich erblickte, durfte man wieder hochzuckeln nach Tejeda. Mir war heiß, mir war etwas übel und so richtig hatte ich keine Lust mehr. Als ich dann auf die Uhr schaute, sah ich nur ein blaues Display. Dass auch noch die Suunto 9 den Geist aufgibt, ruinierte meine Motivation vollends. Im VP setzte ich mich erstmal für 10 Minuten und bemitleidete mich. Weitermachen? Aufhören? Es ging mir nicht gut, aber so richtig beschissen auch nicht. Also beschloss ich, nach dem Rauslaufen Marek anzurufen.
Das tat dann gut. Überhaupt, die Spanier machen das cleverer. Die laufen oft zu zweit und labern in einer Tour. Das hilft sehr bei der Ablenkung und man kann sich gegenseitig motivieren. Allein auf so einem Brett ohne Crew an der Strecke ist halt härter. Und so gestaltete sich dann auch der Anstieg zum Roque Nublo. Auf einem neuen Trail ging es direkt 200 HM nach La Culata runter, um dann an einem Stück zum Roque hochzusteigen. TGC Legende Luca Papi zug schnatternd an mir vorbei. Hatte ich erwähnt, dass ich die 3 Km Asphalt immer super fand? Auf dem Aufstieg lieferte ich mir ein Duell mit einer spanischen Wandergruppe. Ich überholte sie, dann sie wieder mich. Mehrere Male fragten sie mitleidig, ob es mir gut gehe.
Nach etwa 8 Stunden schlug ich auf dem Roque an und ließ meine Zwischenzeit nehmen. Da ich annahm, dass meine Uhr kaputt sei, war mir gar nicht so klar, dass ich schon zwei Stunden hinter meinem Plan war. Die Sonne hatte zu meinem großen Glück Erbarmen und ballerte ab dem Roque nicht mehr durchgängig. Nachdem ich mir eine Dose Coca Cola beim Imbiss am Roque Nublo Parkplatz gekauft hatte, lief der Aufstieg nach Garañon überraschend flüssig. Meine Flaschen waren leer. Vor dem Campingplatz feuerte eine ganze Meute von Zuschauern an und klatschte jeden hoch. Vamos!
Im gut organisierten Basiscamp gab es Warmes zu essen und heiße Brühe. Da nahm ich auch die 10 Minuten Anstehen in Kauf. Meine Dropbag verschmähte ich diesmal nicht, denn ich lud jeglichen Ballast bis auf die Pflichtausrüstung ab. Regelrecht beschwingt machte ich mich auf nach Tunte. In der Kühle des Nachmittags lief es plötzlich wieder. Meine Schritte wurden größer und ich überholte Läufer um Läufer. Und wieder mal die Erkenntnis: Sonne ist nicht mein Laufwetter. Es folgte mein bester Abschnitt auf der Tour. Unterhalb des Picos de las Nieves wurde es neblig, einfach herrlich. Schön kühl, aber kein Wind.
Den legendären Römerweg passierte ich so schnell wie nie. Ans Aufhören verschwendete ich ab jetzt keinen Gedanken mehr. Runter nach Tunte ist es ein laufbarer, etwas verblockter Weg mit zahlreichen Stufen. Der ist wirklich erträglich und bietet sich zum Pacen an. Um kurz vor 20:00 Uhr krachte ich mit dem letzten Tageslicht am VP in Tunte rein. Flaschen nochmal auffüllen, ein Stück Pizza rein und weiter. Ich wusste ja genau, was mich noch erwartet.
Mein schwaches räumliches Sehvermögen macht es mir in der Dunkelheit noch schwerer. Aber es war trotzdem nicht unterirdisch, wie ich mich den vorletzten Anstieg hochkämpfte. Der Franzose vor mir hatte nicht mal seine Stirnlampe angeschaltet(?). Immer wieder erstaunlich, was für Typen auf diesen Ultratrails unterwegs sind. Auf der Spitzkehre angekommen gelang mir noch ein wackliges Foto des Himmels, bevor der Rechtspfeil auf den Trail nach Ayagaures deutete. Der ist stellenweise richtig giftig. Und so musste ich Läufer um Läufer passieren lassen. 12 Km sind es von Tunte bis zum Paella-Verpflegungspunkt in Ayagaures.
Sobald der Zaun rechts auftaucht, hat man es fast runter geschafft. Es geht dann nochmal gute 2 Kilometer durch den dunklen Ort auf der Straße, bevor man auf die Pendelstrecke zum VP kommt. Dort wurde richtig aufgefahren, eine riesige Paella-Pfanne wartete auf die Läufer. Hunger hatte ich nicht, ich wollte mich lieber nicht zu lange aufhalten, um nicht auszukühlen. Das Selfie zeugt nicht mehr von großartiger Motivation. Aber jetzt steigt man nicht mehr aus.
Ich nötigte mir wieder Brühe ein und latschte zum Staudamm, denn das finale furioso im Barranco de Vincentes erwartete mich. Der allerletzte Anstieg ist ein breiter Forstweg mit 200 HM, das ist unproblematisch. Und wenn ich ehrlich bin, so dramatisch war dann das Flussbett auch nicht mehr. Mich überholten zwar weiterhin so einige Advancer und Classicos(!), aber ich war mir seit Tunte sehr sicher, dass heute nichts mehr anbrennen würde. Man kann sagen, jetzt brachte ich es mit Erfahrung und einer Portion Lässigkeit zu Ende.
Am Ausgang des Flussbetts wartete Arista noch mit dieser schönen Projektion auf dem Felsen auf. Da ging mir richtig das Herz auf und ich kam etwas ins Grübeln. See you soon beim Transgrancanaria? Eigentlich hatte ich das nicht mehr vor. Obwohl man natürlich auf Gran Canaria auch ohne diesen Ultratrail wunderbar laufen kann.
Die letzten 3 Km konnte ich dann durchdschoggen. Jetzt überholte mich wirklich niemand mehr. Am Eingang zum Stadion wartete Matthias auf mich und er nahm diesen schönen Clip vom Zieleinlauf auf. 15 Stunden, 37 Minuten, 36 Sekunden zeugen von einem langen, aber trotzdem unvergesslichen Tag auf den Trails beim Überqueren von Gran Canaria.
Nein.
Ich war ganz und gar nicht enttäuscht. Am Ende standen fast 87 Km auf der Uhr, die doch noch (mit Bildschirmschoner) weiter ihren Dienst verrichtete. So eine lange Strecke ist nur begrenzt planbar. Ich habe es dann doch wieder unterschätzt. Aber meine 10. Teilnahme am Transgrancanaria konnte ich mit der 9. Medaille krönen. Manchmal ist eben Ankommen das Maximum, hat ein lieber Bekannter sehr richtig kommentiert. Und eine andere liebe Freundin meinte, andere seien gar nicht erst losgelaufen.
Doch noch ein weiteres Mal laufen? Kann ich mir gerade nicht vorstellen. Auch wenn Marek gerne noch die offene Rechnung von 2022 begleichen würde, als uns der Regen in der Nacht vom Berg gefegt hat. Wir werden reden. Da wird sehr viel Überredungskunst (und seriöses Wintertraining) erforderlich sein, damit das Flugzeug mit mir und der 10. Medaille von Las Palmas abhebt.
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Mitte: Ildiko, rechts: Eva
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Marathon Impression
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Robert Pkemoi, Sieger 45k
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Vor dem Start
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Puerto de las Nieves
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Vor El Hornillo
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Aufstieg El Hornillo
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Hinter San Pedro
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Artenara VP Km 23
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Artenara VP Km 23
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Vor El Hornillo
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Römerweg nach Tunte
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Hinter Tunte
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von Henrik | 08.03.22 | Laufen, Trailrunning, Ultra, Wettkampfbericht
Ich zeigte mit meinem Trailstock auf das Tal und teilte Marek mit, dass es etwa 1.000 Höhenmeter da runter und auf der anderen Seite wieder rauf zum Stausee gehe. Und sehr schnell waren wir uns einig, dass wir den Abstieg nicht wagen würden. Ich hatte den noch in böser Erinnerung. Letztes Jahr war es noch dunkel, als ich da runter gestolpert bin. Wir waren beide klitschnass und schon fortgeschritten unterkühlt. Der Wind blies seit Fontanales mit brutaler Geschwindigkeit und man hatte das Gefühl, als flögen Hagelkörner ins Gesicht. Es war keine schwere Entscheidung. Mit großartigem Abwägen oder Diskussionen. Entschieden hatten wir beide jeder für sich schon früher, jetzt sprach es Marek nur aus. Dass das Wetter sich erst in Tunte bessern würde -also in mehr als 40 Kilometern- und wir keine trockenen Sachen deponiert hatten, half kräftig mit.
Dabei war der Optimismus groß. Nach Henriks hart erkämpftem Finish im letzten Jahr bei teilweise grausigen Bedingungen redeten wir uns ein, dass es nicht schlimmer kommen könne. Marek hatte vor vier Wochen eine Corona-Infektion hinter sich gelassen und war zumindest in guter Form. Henrik hatte im Januar zwei Wochen auf Lanzarote gut trainiert. Zusammen auf der Strecke sind wir immer stärker und hatten gehofft, die Tiefs des anderen ausgleichen zu können gepaart mit Henriks Erfahrung auf dem Kurs. Die ersten Tage auf Gran Canaria waren zauberhaft sonnig und heiß. Noch am Mittwoch liefen wir den Streckenteil von Tejeda nach Tunte bei Traumwetter ab – nicht mal ein Lüftchen wehte. Was sollte da schiefgehen?
In grenzenlosem Optimismus verzichteten wir locker flockig auf Dropbags für Garañon. Henrik hatte seine im letzten Jahr nicht angerührt. Wie gesagt: schlimmer könne es ja nicht mehr kommen. Viel mehr beschäftigten wir uns mit der Auswahl des Laufshirts und des Laufcaps. In der ExpoMeloneras holten wir am Donnerstagmittag unsere Startnummern ab und hielten Plausch mit anderen Trailrunnern. “Letztes Jahr, weißt du noch, das grausige Wetter?” Ein paar Gels sackten wir noch ein, kauften ausnahmsweise mal kein Merchandising und besuchten sogar noch die Pastaparty von Arista. Auch hier saßen wir der irrigen Annahme auf, dass es nicht mehr… ihr wisst schon. Noch ein Bad im Meer am Leuchtturm und leckeres Abendessen machten das Tapering perfekt.
Der Freitag war dann von den letzten Vorbereitungen geprägt und pünktlich um 21:00 Uhr rollte der Shuttlebus nach Las Palmas los. Im Gegensatz zum letzten Jahr war der Startbereich gut gefüllt, die Trommler machten Stimmung und die Außentemperatur recht mild. Noch deutete nichts auf das hin, was uns 1.000 Höhenmeter weiter erwarten würde. Es war angenehm zu erleben, dass Corona auf den Kanaren weitgehend zu den Akten gelegt wurde und außer der Maskenpflicht in der Startaufstellung deutete nicht mehr viel auf die harten Zeiten hin. Es war richtig schöne Stimmung und wir genossen es, ein Teil davon zu sein. Punkt 23:00 Uhr knallte es und die Meute wetzte los am Strand Richtung Konzerthaus. Arriba! Animos! Suerte!
Die ersten fünf Kilometer liefen wir flott und auch die ersten 200 Höhenmeter hoch auf Las Palmas’ Hausberg waren noch locker. Mareks Köcher löste sich und sein rotes Rücklicht stieg aus. Aber das waren Kleinigkeiten, die uns noch nicht aus der Ruhe brachten. Hoch nach Valsequillo machte es richtig Spaß und wir schwammen gut mit im vorderen Teil des Feldes. Das Einbiegen in den Barranco de Tenoya war der erste innere Checkpoint. Hier wird es stellenweise ziemlich rocky und man muss mit etwas Optimismus über die Steine laufen. Das gelang uns wirklich gut und wir behaupteten uns blendend. Der kurze Aufstieg nach … war bereits nass. Wir merkten, dass der Altra auf nassem Stein nichts entgegenzusetzen hat. An mir flog ein Deutscher vorbei, der mich fragte, ob ich ein Laufblog habe und er sich darin über den Transgrancanaria informiert hätte. Skurril, aber auch schön zu hören.
Bis zum ersten VP in Arucas nach ziemlich genau zwei Stunden gab es keine besonderen Vorkommnisse. Marek fragte, ob das Tempo nicht zu hoch sei. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es uns zu sehr fordert. Da hatte ich andere Sorgen. Wir füllten schnell auf und zogen los Richtung Teror. Im letzten Jahr hatte ich so meine Probleme beim Anstieg. Der Boden dort ist sehr lehmig und wenn die feuchte Pampe einmal unter dem Schuh klebt, dann wird aus dem besten Reifen das Modell Gleitgel. Wir sahen aus der Ferne schon einige rote Rücklichter den Hang wieder runterrutschen. Es gab keinen Trail mehr, nur noch Lehmpampe. Ohne Stöcker hier hoch – how that? Teilweise gingen die Läufer auf alle Vieren. An den Sträuchern festhalten war auch gefährlich, die Dornen gaben den Rest. Das dauerte alles sehr lange und das Hochdrücken mit den Armen kostete viel Kraft. Irgendwie brachte uns aber auch das noch nicht aus der Ruhe, denn schlimmer sollte es doch nicht mehr kommen?
Der Downhill nach Teror ist ein toller Singletrail, hier kann man richtig Gas geben und es rollen lassen. Jedenfalls an jedem anderen Tag als dem 5. März 2022. Jeder Schritt konnte ein falscher sein. Geschwindigkeit bringe Sicherheit. In diesen frühen Morgenstunden eher Gefahr für die körperliche Unversehrtheit. Immer wieder lagen Läufer vor uns. Uns hat es auch diverse Male erwischt, bis dahin noch mit keinen Folgen außer dreckigen Händen und Klamotten. Trotzdem ging es voran, nicht schnell, aber es ging voran. Wir kämpften uns runter über den Kirchhof und die schöne lange Straße. Über vier Stunden waren wir bis zum VP in Teror unterwegs. Mir war etwas übel und der Magen krampfte von den Kartoffeln in Arucas und von dem Iso, aber das Problem wurde sehr bald von einem anderen verdrängt.
“Jetzt wird es lustig” waren meine Worte und wir kletterten hoch Richtung Fontanales. Das ist schon ordentlich steil. Inzwischen regnete es, noch nicht sehr heftig, aber durchgehend. Die Regenjacke zog ich noch nicht an. Auf den betonierten Wegen kamen wir zügig voran, auf den Zwischenanstiegen eher weniger. Auf einem Singletrail hoch nach … verlor ich Marek. Der Regen wurde stärker und ich hielt an, um meine Regenjacke und die Mütze anzuziehen. Da er auch nach zwei Minuten nicht auftauchte, lief ich allein weiter. Die Trails waren modrig -immerhin nicht mehr lehmig- und die Socken durchnässt. Fontanales ließ auf sich warten. Ich reflektierte ein wenig den bisherigen Verlauf und zum ersten Mal zweifelte ich an unserem Vorhaben. Es waren schon viele Körner bis Teror aufgebraucht. Wenn jetzt noch Wind dazukommt, hätten wir ohne Dropbags schlechte Karten.
In Fontanales angekommen nahm ich die erste (und letzte) Videobotschaft für die Crew auf. Ich war schon sehr müde und genervt. Marek traf etwa fünf Minuten später ein und übertraf das noch. Immerhin einen lauwarmen Tee gönnte ich mir und nahm wieder die Kartoffeln und auch Cola. Erste Gedanken an Aufgabe kamen auf. Wenn das Wetter nicht besser werde, könnten wir ja in Artenara rausgehen? Dass es nicht mehr schlimmer werden könne, glaubten wir schon eine Weile nicht mehr. Und so liefen wir nach 20 Minuten aus der Turnhalle und siehe da – der Regen hatte aufgehört. Wir zogen die Handschuhe an und Hoffnung machte sich breit, dass das Schlimmste hinter uns liegen könnte. Doch diese wurde sehr schnell schmerzvoll zerstört.
Gefühlt ging es weiterhin nur nach oben und mit jedem gewonnenen Höhenmeter wurde der Regen stärker und der Wind heftiger. Es gibt eigentlich viele schöne laufbare Passagen, aber uns graute es vor jedem kleineren nicht betonierten Abstieg. Wir kämpften um jeden Meter und kamen nur sehr langsam voran. Oberhalb von Fontanales fegte dann eine Bö mich fast vom Berg. Ich versuchte immer zu schauen, ob Marek hinter mir ist, aber selbst das war schwer möglich. Die Stirnlampe war begrenzt hilfreich, da der Nebel das Licht brach. Für jemanden, der nachts sowieso schlecht sieht, herausfordernd. Als ich auf dem Hangweg zum Barranco de Sao Marek nicht mehr sah, hielt ich an und lief hundert Meter zurück. Stehenbleiben war die schlechteste aller Optionen. Meine rechte Gesichtshälfte fühlte sich taub an. Was läuft hier? Zum Glück kam Marek dann an und brüllte zu mir, dass er sich die Schulter ausgekugelt hätte. Nochmal: was läuft hier?
So blöd es klingt, aber wir mussten weiter, da diese Stelle für Diskussionen nicht geeignet war. Er konnte offensichtlich noch laufen. Auf der Straße runter zum Barranco wurde uns beiden klar, nicht mal bis Artenara würden wir in einem Stück ankommen. Dann kam das Tal, wir liefen kurz an den Hang und ich zeigte nach unten. Es gab keinen Bedarf mehr für Diskussionen. Der Kopf sagte nein. Wir beide sind eigentlich sehr widerstands- und leidensfähig. Hier war aber auch für mich der Punkt überschritten, wo das Risiko vertretbar war. Da unten mitten im Hang liegenzubleiben, das erschien mir zu gefährlich. Und so schaute ich kurz auf mein Telefon und sah, dass die Straße direkt nach El Hornillo zum VP führte, ohne dass wir durch das (übrigens spektakuläre) Tal müssen.
Dann begann die Etappe “wie steigt man eigentlich aus einem Rennen aus?”. Ich hatte leider nicht sehr genau auf die Karte geschaut. Nach etwa 5 Kilometern kamen die Läufer wieder auf die Straße hoch und ich wähnte uns auf der richtigen Route kurz vor dem Checkpoint, der ja direkt nach dem Beginn des Anstiegs kommen sollte. Ein Spanier fuchtelte irgendwas von “controllada” und zeigte nach unten, aber ich dachte, der meinte nur eine Zeitmatte, damit man das Tal nicht einfach auf der Straße umläuft, wie wir es gerade getan hatten. Und so kletterten wir noch die halbe Etappe und gute 1.000 Höhenmeter hoch bis zum Eingang des Tamadaba-Gebirges. Ich realisierte mein Malheur auf etwa halber Strecke. Letztes Jahr war der VP am Stausee und diesmal davor. Und nicht dahinter. Auch das Denkvermögen war stark beeinträchtigt.
Auf der einzigen Straße nach einer Ewigkeit angekommen trafen wir auf Romina, die mit ihrer Crew auf einen Läufer wartete. Auf dem Schild standen noch 8,6 Km bis Artenara. Wir wollten keinen Meter mehr gehen. Romina versorgte uns mit Decken und einem Heißgetränk und rief dann für uns die Arista-Notfallnummer an. Eine gute Stunde nach unserer Ankunft auf diesem Parkplatz fuhr ein netter Herr mit dem Amulanz-Van vor und lud uns beide halb Erfrorene in sein Auto. Er brachte uns nach Artenara, wo es noch erstaunlich ruhig war. Und als dann wenige Minuten später der Shuttlebus nach Maspalomas vor der Tür stand und uns einlud, waren wir erstmal happy, dass wir zumindest wieder schnell raus waren.
Leider kam der Bus nicht weit und blieb 10 Minuten später mit Kühlwassermangel liegen. Wir hatten immer noch die nassen Sachen an und lungerten eine Stunde in dem eiskalten Bus rum. Die Reparaturversuche des Fahrers endeten damit, dass er sich selbst im Motorraum einsperrte und ein Fahrgast ihn befreien musste. Was sollte heute noch alles kommen? Wir waren viel zu müde, um uns aufzuregen. Der Ersatzbus brauchte dann geschlagene 2,5 Stunden bis nach unten, weil er jeden VP abfuhr, um ausgestiegene Läufer einzusammeln. Viele kamen aber erstaunlicherweise nicht zusammen. Wir konnten sehen, dass auch am Roque Nublo das Wetter keinen Deut besser war. Später erfuhren wir, dass der Veranstalter den Abschnitt gesperrt hatte.
Angekommen in Maspalomas trockneten wir in der Sonne und freuten uns über das erfolgreiche Finish unseres Neffen Max, der den “Starter” über 26 Km und 600 HM lässig bewältigte. Uns so gab es immerhin eine Medaille in der Familie, die nach Hause gebracht wird. Wir hätten gerne noch Läufer beim Finishen angeschaut und die Atmosphäre genossen, aber nach gut 30 Stunden auf den Beinen wollten wir nur noch: essen und schlafen.
Was bleibt von diesem Ausflug auf die Insel? Eine ganze Menge. Und die Enttäuschung über das DNF überwiegt dabei nicht. Natürlich, wir sind Sportler und wir sind ehrgeizig. Diese Medaille wäre ein toller Saisonauftakt gewesen und hätte uns viel bedeutet. Wir hatten einen großartigen Vorbereitungslauf am Roque Nublo, wo Marek schon die Schönheit der Insel bewundern konnte. Wir hatten viel Family Time und viel Sonne. Und wir hatten immerhin gut 60 gemeinsame Kilometer beim Transgrancanaria. Alles hat seinen Sinn, sagt man ja so platt. An das Schicksal glaube ich allerdings nicht, eher daran, dass man ab einem gewissen Punkt einsehen muss, dass die Kontrolle nicht mehr da ist. Ich hatte Marek hierhin geschleppt und für dieses Abenteuer die Verantwortung übernommen. Jeder läuft für sich und trifft seine eigenen Entscheidungen. Und dazu gehörte für mich in dem Moment da oben vor diesem Barranco eben auch, dass ich Mareks Entscheidung mittrage. Es war gut, dass wir zu weit waren und ich so keinen Gedanken daran verschwendet habe, dort allein reinzugehen und -wie auch immer- weiterzumachen.
Über die Verantwortung des Veranstalters kann man jetzt diskutieren. Ich war in der Vergangenheit recht kritisch und sehe die Entwicklung von Arista und des Events grundsätzlich positiv. Vor ein paar Jahren gab es noch nicht mal eine englische Homepage. Es ist sehr viel professionalisiert worden. Für das Wetter kann Arista nichts. Es war auch viel Pech dabei, dass nach einer sehr sonnigen Woche (auch in den Bergen!) ausgerechnet in der Samstagnacht ein heftiges Tief über die Insel fegte. Nach nüchterner Betrachtung war die Wetter-Info, die am Freitagmittag per E-Mail versendet wurde, einfach zu wenig. Dass ich mit meiner Es-kann-nicht-mehr-schlimmer-kommen-Annahme irrte, mein Fehler. Ich habe schon einige Wolkenbrüche da oben erlebt und hätte es besser wissen müssen. Aber die lange Hose, die Arista in der besagten Mail empfohlen hat, hätte uns nicht gerettet. Eher eine Schlechtwettervariante, wie sie z.B. Plan-B beim Transalpine-Run bereithält. Die Strecke Teror bis Artenara ist auch direkt laufbar. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben. Vor allem die Erstteilnehmer:innen würde man damit abholen. Auch einen Rennabbruch fand so mancher Teilnehmer nicht undenkbar. Es sind schon Leute bei wesentlich anspruchsloseren Läufen gestorben. Die spätere Sperrung des Streckenteils zum Roque Nublo wirkte auf mich zu halbherzig.
von Henrik | 08.02.22 | Allgemeines, Laufen, Reisen, Trainingstagebuch, Zukünftiges
Eher unabsichtlich bin ich auf einem Trailrun im Norden Lanzarotes am Hausberg von Haria vorbeigelaufen. Der Monte Corona ist einer der höchsten Vulkankegel auf der Insel und trägt den Namen nicht von ungefähr. An diesem diesigen Tag war Ruhetag im Lanzarote Laufcamp, wo ich erneut als Teil des RUNNING Company Teams zwei Wochen Sonne tanken durfte.
2012 war ich zum ersten Mal als Teilnehmer bei dieser Laufreise dabei und die Kombination aus Wärme im tiefsten deutschen Winter und Laufen auf einer Vulkaninsel hat mich geflashed. Ganz bewusst veranstalten wir als RUNNING Company dort kein Trainingslager im eigentlichen Sinne. Wer mit uns im Januar in die Sonne kommt, möchte vor allem eine Winter-Auszeit. Wenn dazu ein gemäßigtes, aber nicht langweiliges Lauftraining dazukommt, dann bekommt man einen wunderbaren Aktivurlaub. Alle Aktivitäten sind natürlich freiwillig. Wer lieber spontan am Pool flacken oder sich einen Vulkankrater anschauen will: herzlich willkommen! Ich habe für mich einiges Neues probiert und bin sehr zufrieden mit mir: im Gegensatz zu den vergangenen Jahren habe ich mich jeden Tag ins Meer getraut, auch, wenn es nicht so warm war. Wandrer sagt mir, dass ich 118 neue Kilometer gelaufen bin – ich habe einige sehr schöne neue Wege erkundet. Und neues Schuhwerk probiert – nach Jahren habe ich wieder einen Schuh von Salomon und Inov-8 angezogen.
Bei meinem Lauf vorbei am Monte Corona konnte ich ein wenig reflektieren über die vergangenen zwei Pandemiejahre und was das alles so mit uns gemacht hat. Vor allem aber auch Pläne schmieden und mich auf das “Danach” freuen. Denn wir werden diesen Berg im wahrsten Sinne des Wortes hinter uns lassen. Schon im letzten Jahr haben wir drei Pfeiler für 2022 gesetzt:
- Transgrancanaria Classic 125 Km am 4. März
- Mauerweglauf 100 Meilen am 13. August
- Transalpine-Run 285 Km am 3. September
Der TGC wird vorbehaltlich stattfinden, dass sich Marek 100%ig von Corona erholt hat und ich mich nicht noch anstecke in den verbleibenden Wochen. So viel gemeinsame “Trainingszeit” hatten wir schon lange nicht mehr. So oder so: es wird eine lange Nacht unterhalb des Roque Nublos. 2021 bin ich das einsamste Rennen meines Lebens gelaufen und allein deshalb freue ich mich, Marek an meiner Seite zu haben. Das steht im Vordergrund, was letztendlich für eine Zeit rauskommt, ist angesichts der Umstände der letzten Monate ziemlich egal.
Auf dem Berliner Mauerweg könnte das schon anders aussehen. Man möge mich gerne daran erinnern, dass ich mir das nie wieder antun wollte. Und eigentlich hatte ich mich nur angemeldet, weil ich Marek ja nicht allein lassen kann. Blöd, dass er immer die Startlisten durchblättert. Die Veranstaltung ist für uns aus mehreren Gründen die wohl emotionalste und allein deshalb führt kein Weg am Mauerweg vorbei.
Auch an Garmisch führt kein Weg für uns vorbei. Wir halten unseren Zweijahresrhythmus aufrecht für den legendären Transalpine-Run, wenn man 2021 als Verschiebung von 2020 betrachtet. Zum fünften Mal geht es für mich und zum vierten Mal für Marek über die Alpen zur bis dato anspruchsvollsten Querung. Es ist nicht so, dass uns das höher-weiter-technischer wirklich gefällt. Uns kamen 2016 und 2018 die laufbaren Strecken sehr entgegen. Aber das Zusammentreffen der TAR-Familie ist die Strapazen wert.
Wer weiß heute schon, ob das alles so kommt, wie wir uns das gedacht haben. Möglicherweise bekommt der Monte Corona doch wieder mehr Bedeutung, als uns lieb ist. Aber hier und heute ist Rückenwind und ein fluffiger Trail führt nach unten. Wir lassen das mal laufen, dieses 2022.
von Henrik | 07.03.21 | Laufen, Trailrunning, Wettkampfbericht
Bild: racephotos.es
Und das Licht war wieder aus. Wie 2017 saß ich als einziger Gast am Verpflegungspunkt in Ayagaures. Das war auch noch verboten, weil man dort gemäß der Hygieneauflagen gar nicht verweilen durfte. Die Crew hatte aber auch schon lange keine Lust mehr, die Läufer zu ermahnen. Irgendwann waren alle einfach müde. 20 Minuten vorher war ich mit dem allerletzten Tageslicht aus dem Downhill raus. Eine gute Stunde früher als vor vier Jahren. Ich folgte dem Ritual, einen Tee zu trinken, die Cola-Flask aufzufüllen. Aber ich merkte, wie mein Körper jetzt runterfahren wollte. Seit mehr als 20 Stunden war ich nun auf den Beinen und es waren noch 18 Km bis zum Leuchtturm. Ich blickte den Hang hoch und sah nicht ein einziges Licht auf dem letzten Anstieg. Ich musste das wirklich ganz allein zu Ende bringen.
Dass mein 9. Transgrancanaria ein besonderer Wettkampf werden würde, war vorher klar. Alle waren dankbar, dass er überhaupt stattfand. Ein paar Hygieneregeln beachten – na und wenn schon. Dazu eine Wettervorhersage, die viel vorhersagte, aber nicht das Wetter. Und zu guter Letzt meine Vorbereitung ohne wesentliche Höhenmeter, die im besten Fall als “gerade so ausreichend” zu beschreiben war. Eine schwierige Gemengelage. Und hätte ich mich nicht auf meine Erfahrung auf der Strecke verlassen können, ich hätte wie die anderen 130 von 310 Gestarteten das Ziel nicht gesehen.
Das Skurrile an Nachtläufen ist, dass man die Nacht mit dem Tagesanbruch gleich vergisst. Das Licht hat so viel Kraft, mit einem Schlag sind die Strapazen der Nacht vergessen. Ich hatte mich mehrmals hingelegt in der Nacht, einmal hielt ich mich an einem Drahtzaun fest und schnitt mir schön die Finger auf. Es passiert einerseits so gut wie gar nichts. Man ist nur darauf bedacht, sich vorwärts zu bewegen. Andererseits aber so viel, dass man nie in einen Trott kommt oder dass es gar langweilig wird.
Bild: racephotos.es
Früher hätte ich mich innerlich noch aufgeführt, als der Lehmboden unter dem Schuh klebte und ich gefühlt eine Ewigkeit gebraucht habe, um den Hang nach Teror hochzukommen. Ohne Stöcke übrigens sinnfrei. Als der Regen hinter Los Peres einsetzte und der fiese Wind die Läufer zermürbte. Als es an jedem VP nichts außer Bananen, Müsliriegel, Wasser, Gatorade(!) und Pepsi gab, für das man anfangs auch noch anstehen durfte. Dass man immer noch Helfer einteilt, deren Englisch sich auf “no” beschränkt. Sich aufregen heißt nur, kostbare Energie zu vergeuden.
Die Startaufstellung hätte mir Warnung genug sein können. Fünf Minuten vor dem Schuss gab es einen kurzen Wolkenbruch. Schnell die Regenjacke angezogen. Die Ärmlinge hatte ich drunter, damit ich sie in der Sonne schnell ablegen kann. Aber ich werde sie bis zum Finish nicht mehr ausziehen, denn Sonne gab es schlicht und ergreifend für mich nicht. Gestartet wurde im 5s-Abstand. Das führte dazu, dass ich etwa 23:05 Uhr auf die Strecke gehen durfte. Das war schon ein erhebendes Gefühl, endlich wieder ein Wettkampf, der erste nach dem TGC vor einem Jahr. Innerlich gejubelt habe ich, als ich durch den Sand losstapfte. Kilometer 2 gleich mal in 4:18 min. Da war dann doch Adrenalin angestaut.
Viele Erinnerungen an die erste Nacht habe ich nicht. Stand wirklich oberhalb von Las Palmas ein “125 Km”-Schild? Der Weg durch den Barranco de Tenoya ist beschwerlich, mit Laufen ist nicht so viel. Überraschenderweise liefen hier einige Gruppen dicht beieinander und ich war nicht allein. Der erste steilere Anstieg nach Santidad war noch harmlos, aber schon sehr rutschig. In Arucas wartete der erste VP. Und da gleich mal anstehen, weil jeder einzeln reingebeten wurde. Ich hatte echt Durst und meine Flaschen ausgetrunken, weil ich diese nicht vollgemacht hatte vor dem Start. Es war aber keine Zeit für Auffüllen, Trinken, Auffüllen. Es musste halt so gehen. Mit der Zeit wurde es aber immer leerer an den VP. Leider krampfte mein Magen in sicheren Abständen. Das war zuviel Gel vor dem Start.
Auf dem Anstieg nach Teror wurde ich zum ersten Mal durchgereicht. Ich feierte die Stöcke, ohne die hier wohl Ende gewesen wäre. Es war einfach zu steil. Erste Zweifel an dem Vorhaben kommen auf. Wenn du nicht mal das irgendwie hinkriegst, was soll das noch werden? Aber einen Ultra denkt man nicht zu Ende, sondern genau bis zum nächsten Meilenstein. Und der kam mit dem Checkpoint in Teror sehr bald. 31 Km, ein Shot Gel, erste Cola, die Kirche und der mir wohlbekannte Weg durch Teror gaben mir neuen Mut. Wie oft bist du hier schon lang, in alle möglichen Richtungen. Das Rennen begann so langsam und ich leckte Blut. Noch war ich im Plan, nach 10h in Artenara zu sein.
Mein Magen beruhigte sich etwas und einige Betonpisten nach Fontanales halfen mir sehr. Ich überholte hin und wieder auf den flachen Anstiegen und arbeitete eifrig mit Stockeinsatz. Klack-klack, die nachtaktiven Tiere mussten genervt gewesen sein. In Fontanales war der Marathon geschafft und ich nahm eine Videobotschaft auf. Noch gut 20 Km bis zur Halbzeit, das lief doch ganz gut!? Nun folgte aber das einzige Stück, das ich noch nie gelaufen war. Das Stück mit dem steilsten Anstieg und dem steilsten Abstieg der Route. Und es wurde einfach nicht hell.
Der Downhill in die Schlucht von Los Perez war dann noch schlimmer als erwartet. Eng, zugewachsen, matschig, dunkel und endlos. Das war so überhaupt nicht mein Terrain. Ich sehe gerne, wo ich hintrete. Wieder flog das halbe Feld an mir vorbei und ich brauchte eine gute Stunde bis unten. Eine Geduldsprüfung, die mit dem irren Setting belohnt wurde. Die Wanderung lohnt sich, und mit dem einbrechenden Tageslicht sah das ganze nochmal imposanter aus. Es geht nur 50 Meter flach, dann folgt der Anstieg hoch zum Stausee. Der Downhill hatte viel Reserven gekostet und ich war froh, dass wir eine ganze Weile auf der Straße aufstiegen. Der Regen wurde nun stärker und am VP trank ich zum ersten Mal einen Tee.
Das Tageslicht und der Tee verhalfen mir zu einem der wenigen Hochs. Der Weg hoch war zwar lang, aber niemals wirklich steil. Das gab mir Gelegenheit, ein paar Läufer einzusammeln. Ich glaubte ständig, gleich in Artenara sein zu müssen. Aber es war noch viel weiter als gedacht. Mit jedem Höhenmeter wurde der Wind ekliger. Meine Hände waren schon taub und ich hatte Schwierigkeiten, die Stöcke zu handhaben. Der Nebel hing tief. Dementsprechend war auch niemand an der Strecke. Es war ein einsames, langes Dahintrailen bis Artenara. Als ich endlich eintraf um 10:23 Uhr, waren die Advancer schon fast 90 Minuten los. Jetzt realisierte ich erst, wie langsam ich unterwegs war. Aber Ultra ist, sich immer wieder anzupassen und den Moment zu managen. Was brachte es mir jetzt schon darüber zu sinnieren, ob ich zu langsam los bin? Nichts. 19 Plätze hatte ich gutgemacht seit Los Perez. Aber nicht, weil ich so Viele überholt hatte. Die sind zur Halbzeit ausgestiegen.
Das kam für mich nicht in Frage. Ich zog die Regenjacke wieder an und kletterte hoch. 600 HM folgten nun, bevor mein Lieblingsdownhill nach Tejeda folgen sollte. Aber der Wind fegte uns fast vom Berg. Ich war schon angeschossen, fluffig ging hier gar nichts mehr. Überraschend? Nein. Ich brauchte wieder eine gefühlte Ewigkeit bis oben und am Cruz de Tejeda realisierte ich, das wird hier heute wohl bis ins Ziel reichen. Ich behaupte immer, wer es bis hierher schafft, hat gute Chancen, auch durchzukommen. Der Downhill war anfangs schlammig, so dass ich fast geheult hätte und im Schlamm gesurft bin. Aber er wurde griffiger und laufbarer. In Tejeda hielt ich mich nicht lange auf. Wasser, Cola, Tee, Banane. Es wurde nicht mehr kreativer.
Auf der Straße rief ich ins RUNNING Company Headquarter durch, weil ich mit irgendjemanden sprechen wollte. Die Einsamkeit fühlte sich streckenweise sehr schön, streckenweise aber auch beunruhigend an. Ich brauche ab und zu Gesellschaft, jemanden, der auch gerade ein Tief hat oder dem man was Gutes tun kann. Respekt hatte ich schon vor dem Anstieg zum Roque Nublo. Aber ich bin oft genug hochgeklettert. So steil ist der nicht. Und so war es dann auch. Im Regen erreichte ich den Checkpoint unterhalb des Steins nach 15 Stunden und 28 Minuten. Ja, das war schon 2-3 Stunden hinter meinem groben Laufplan. Ultra heißt aber, sich auf das A-Ziel -ankommen- fokussieren zu können.
Der kurze Anstieg nach Garañon machte mir viel Angst, aber ging dann leichter als gedacht. Ich freute mich auf etwas Festes zu essen. Das ist der 88 Km Checkpoint. Aber dank Hygienekonzept gab es nichts indoor. Die kalten Nudeln durfte man unter einem Pavillon essen. Ich trank eine Brühe dazu, immerhin die war warm. Und entschied mich gegen meine Dropbag und den Wechsel der Klamotten. Es war einfach zu kalt und ich hatte die Befürchtung, dass ich zu sehr auskühle, denn ich hätte mich draußen umziehen müssen. Als ich den VP verließ, rief ich Marek an und gab ihm den Status durch. Noch schnell hoch zum höchsten Punkt der Strecke. Das Wetter wollte sich einfach nicht einkriegen. Vielleicht auf der anderen Seite der Cumbre?
Mir taten inzwischen die Fußsohlen heftig weh. Beim Runterlaufen wurde das zunehmend zum Problem. Den spektakulären Römerweg meisterte ich mit Lässigkeit, auch der Downhill zum Cruz Grande ist mir wohlgesonnen. Und endlich. Es war trocken. Vom Cruz Grande kann man Tunte sehen. Der Downhill ist schön, aber ziemlich ruppig. Auch hier musste ich einige Läufer ziehen lassen. Ich rollte langsam runter. Die 100 Km sind wichtig. Der VP wurde verlegt weg vom Kirchplatz auf die Wiese. Das erspart den Ab- und Aufstieg im Dorfkern. Zum ersten Mal ließ sich die Sonne blicken. Die Musik war dermaßen laut und schräg, dass ich mich nicht lange aufhielt. Ihr wisst schon, Wasser, Cola, Tee, Banane. Ich Esel packte meine Mütze ein und holte tatsächlich Cap und Sonnenbrille raus.
Der vorletzte Anstieg! 400 HM bis hinter den Kamm dauerten, aber hoch ging es noch erstaunlich gut. Um kurz nach halb sechs war ich raus aus Tunte – es war klar, dass ich heute mindestens 23 Stunden brauchen würde. Jetzt galt es, noch soviel Meter wie möglich im Sonnenuntergang zu schaffen. Der Downhill nach Ayagaures ist gute 10 Kilometer lang und ist stellenweise ruppig, stellenweise aber laufbar. Ich holte nochmal alles raus. Im letzten Jahr bin ich mit meinem Neffen hier aufgestiegen. Man sieht die Sonne förmlich runterfallen. Immer wieder anlaufen, immer wieder über die Steine. Raus aus dem Downhill und ohne Stirnlampe ging nichts mehr.
Jetzt aufhören? Ich verstehe jeden, der auch hier noch aussteigt. 18 Km bis zur Küste klingen lächerlich in der Gesamtabrechnung. Aber es ist noch ein Höllenritt durch den Barranco de Vicente. Ein bißchen Angst hatte ich, dass der Akku der Stirnlampe nicht durchhält. Mit der iPhone Taschenlampe durch das Flussbett. Oha. Ich stapfte die 200 HM hoch und stolperte auf der anderen Seite wieder runter. Laaaaangsam. Sehr langsam. Links: eine schwarze Wand. Rechts: eine schwarze Wand. Nur du und deine Stirnlampe. Ich tippelte immer wieder an. Die Füße brannten. Aber läuferisch war ich noch nicht am Ende. Ich konnte immer wieder in einen Trab mit 7er Pace gehen. Trotzdem, es war mühselig. Aber mein Kopf war viel klarer und stärker als vor 4 Jahren. Ich wusste genau, wieviel von den acht Kilometern noch übrig waren. Und dann sah ich eine Stirnlampe.
Ich hatte tatsächlich den Letzten des Advanced eingeholt. So doof es klingt, ich habe mich gefreut über Gesellschaft. Ich hätte davon”laufen” können, aber der Plausch mit dem Johannes tat mir sehr gut. Der war schon mehr als 12 Stunden auf der 66,5 Km-Strecke unterwegs. Wir kämpften uns die drei Kilometer gemeinsam raus aus dem Barranco. Wen interessierte schon noch die Zeit. Meine Uhr hatte ich vor einigen Stunden schon in den Ultra-Batteriesparmodus geschaltet und ich war nicht sicher, ob sie durchhalten würde. Aber auch mein Akku war längst leergesaugt.
Als wir raus waren, trabte ich wieder los. Das Licht von Playa del Inglès zog mich magisch an. Jetzt hatte ich keinen Zweifel mehr, der Leuchtturm wird mich sehen. Es war kein gutes, aber auch kein schlechtes Finish. 1500 Meter vor dem Ziel überholte ich tatsächlich noch einen Läufer – im Vorbeigehen. Das Ziel war auf dem offenen Feld aufgebaut und ich dachte nicht mehr an so viel. Du hast es mal wieder geschafft. 23 Stunden und 47 Minuten. Ein langer Tag, mal wieder.
Die totale Zerstörung war es nicht. Mir ging es viel besser als damals. Ein netter Helfer rief mir ein Taxi, ich machte ein Selfie mit der Medaille und wartete auf den Johannes. Wirklich bewerten kann man das alles mit den übrigen Gehirnzellen nicht mehr. Meine Füße waren ziemlich ruiniert. Details zum Ausziehen der Socken erspare ich uns. Ich wollte einfach nur schlafen. Und paradoxerweise ging selbst das nach 38 Stunden wach nicht wirklich gut.
Dass ich die letzten Kilometer traben konnte, hat mir wieder gezeigt, dass die Distanz in läuferischer Hinsicht lange nicht das Ende der Fahnenstange ist. Ich muss aber an meinen neuralgischen Punkten arbeiten. Zum einen brauche ich eine gute Schuh-/Sockenstrategie. Die stechenden Schmerzen beim Auftreten waren ein Problem. Im Prinzip hatte sich die Haut unter dem gesamten Vorfuß in Auflösung befunden. Die Innensohle des linken Schuhs war zur Seite gerutscht. Das hat das Problem noch verschlimmert. Zum anderen herrschten die perfekten Bedingungen für mein Problem, dass ich viel Flüssigkeit über die Nase verliere. Hohe Luftfeuchtigkeit und Wind führen immer dazu, dass die Nase permanent läuft. Ich hatte aufgehört zu schneuzen, um die Nasenschleimhaut nicht vollends zu ruinieren. In der Regel geht das bei mir auch mit Nasenbluten einher. Das wurde erst besser mit dem Nachlassen des Windes ab Km 90. Auch hier brauche ich eine Taktik, um das zu kontrollieren.
Nach dem Frühstück um 08:00 Uhr am Sonntagmorgen kehrten die Lebensgeister zurück. Ja, es war eine spezielle Ausgabe des Transgrancanarias. Wieder hat es nicht gereicht, im Tageslicht in Maspalomas anzukommen. “Nur” eine Stunde schneller als 2017 klingt erstmal enttäuschend. Aber nüchtern betrachtet, unter welchen speziellen Voraussetzungen ich 24h vorher in das Rennen gegangen bin und dass die Strecke 5 Km länger war: it was not too bad. Ultra heißt eben auch, dass man erstmal ins Ziel kommen muss. Es wird der Tag kommen, da wird das Licht erst nach dem Finish ausgeknipst.
von Henrik | 18.01.21 | Allgemeines, Laufen, Trailrunning, Ultra, Zukünftiges
Nun ist es schon ein Jahr her, dass die Corona-Welle angerollt ist und uns in gewisser Weise überrollt hat. Anfang März 2020 fand noch gerade rechtzeitig der Transgrancanaria statt und damit für mich die erste und letzte Laufveranstaltung des Jahres 2020. Nun stecken wir mitten in oder vielleicht auch am Anfang der zweiten Welle und der Termin für das Event 2021 rückt näher. Ich wollte unbedingt wieder dabei sein, um die offene Rechnung aus 2017 zu begleichen. Und überhaupt, zwei Wochen zum Abschluss des Winters in der Sonne, das ist doch quasi ein deutsches Grundrecht. Nur ist heuer alles etwas komplizierter.
Das Anmeldeformular hatte ich schon am ersten Tag ausgefüllt, nachdem der Veranstalter Arista die Anmeldung im Sommer geöffnet hatte. Die Gesamtsituation hatte sich über die Sommermonate merklich entspannt und niemand (auch ich nicht) wollte wahrhaben, dass es uns nochmal so richtig böse erwischen könnte. Auch der Veranstalter hatte sich das nicht träumen lassen. Im November reagierte man und halbierte das Starterfeld für alle 6 Rennen. Ansonsten gab es keine Kommunikation, was ich mal darauf zurückführe, dass die Unsicherheit unverändert groß ist. Wird vielleicht doch noch abgesagt? Der Zeitplan über den Haufen geworfen? Seit 20.12. sind die kompletten Kanaren wieder RKI-Risikogebiet. Das erschwert die Ein- und Ausreise. Ob sich das wirklich so viele Läufer:innen antun und sich nach Retoure in die Heimat z.B. in eine 10-tägige Quarantäne begeben werden, ich kann es mir nicht vorstellen. Ich bin hin- und hergerissen. Sollten die Bedingungen aber so bleiben, werde ich starten. Es wird halt ein einsames Rennen so ganz ohne Zuschauer.
Ein wenig habe ich schon ins Training investiert und mich so darauf gefreut, nochmal in die Schlacht am Roque Nublo zu ziehen. Im November habe ich mein Training wieder angezogen und das verkorkste Jahr 2020 noch einigermaßen würdevoll abgeschlossen. Noch im Dezember habe ich die drei größten bayrischen Seen umrundet und endlich wieder lange Läufe unternommen. Für Februar habe ich mir noch Tempoarbeit vorgenommen. Diverse neue HOKAs sind in das Portfolio gewandert. Noch trägt mich die Vorfreude, auch wenn die Rahmenbedingungen anders sein werden. Ja, man kann argumentieren, dass mit den ganzen Einschränkungen das Flair eines Trailrunningwettkampfs verloren geht. Natürlich ist es nicht geil, mit Maske ins Ziel zu laufen. Keine Pastaparty, Startnummer abholen mit ganz viel Abstand. Die ganzen Rahmenveranstaltungen entfallen wahrscheinlich komplett.
Aber trotzdem kann ein Wettkampf stattfinden. Wem das nicht reicht, der möge einfach zu Hause bleiben. Als Laufveranstalter weiß ich, wie brutal der Aufwand ist, um alles coronakonform (was für ein Wort!) zu organisieren. Ich finde, das Orga-Team hat es verdient, dass wir laufen. Und wir lernen mehr zu schätzen, wie großartig diese Events unter “normalen” Bedingungen sind. 26.02. 23:00 Uhr Ortszeit. Wir werden sehen, ob ich am Playa de las Canteras stehen werde. Und nur die Wellen des Atlantiks und nicht Corona-Wellen rauschen.