Zu zweit läuft's besser.

Auch zum Abschied gab es nichts geschenkt

Auch zum Abschied gab es nichts geschenkt
1. März 2023 Henrik

Als die Iberia-Maschine mitten in der Nacht vom Flughafen Las Palmas abhob und die Lichter der Stadt verschwommen, fühlte es sich schon nach einem Abschied für länger an. Zehn Mal habe ich nun am Transgrancanaria teilgenommen. Ein letztes Mal über die Insel laufen und noch einmal das gesamte Gefühlschaos dieses Ultratrails mitnehmen, das war der Plan für dieses Jahr. Das mit dem Gefühlschaos hat zumindest wieder zuverlässig geklappt.

“Nur” der Advanced sollte es werden. Dieser wurde mal wieder deutlich verändert auf nun wieder stolze 84 Km und 4.900 Höhenmeter und der Start nach Agaete im Nordwesten der Insel verlegt. Von der Küste an die Küste klingt richtig gut. Das Getingel zum Start ins Bergdorf Artenara entfiel damit. Alles gute Zutaten für einen letzten Auftritt auf der Kanareninsel. Nach dem Lanzarote Laufcamp fühlte ich mich ganz gut in Form, allerdings bereitete mir ein Sturz über einen Fahrradständer zum Ende einige Sorgen. Bis zum Abflug nach Gran Canaria war die Prellung aus dem Knie noch nicht raus und behinderte mein Training in den drei Wochen davor.

Michael Raab kam am Mittwoch mit dreien seiner La Gomera Trails-Schützlinge rüber nach Gran Canaria, um auch am Rennen teilzunehmen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass der Lauf unter 12 Stunden zu schaffen ist, auch wenn dafür ziemlich viel passen muss. Dass ich am Ende mehr als 15,5 Stunden auf der Strecke war, hatte wie immer so einige Gründe. Es war wieder ein Abenteuer.

Um 8:00 Uhr sollte die Meute loswetzen und alle hatten vor, möglichst bald im Südpark von Maspalomas anzukommen. Von Küste zu Küste stimmte also nicht ganz, denn der “Parque Sur” ist gute 4 Km vom Strand entfernt. Aber wen interessierte schon dieses Detail. Ich war sehr müde, aber guter Dinge. Vor allem aufgrund der Wettervorhersage. Es wurde selbst im Norden Sonnenschein vorhergesagt. Das “Cold Kit” wurde auf die lange Hose beschränkt, ich hatte trotzdem langes Shirt, Handschuhe und Mütze im Gepäck.

Die ersten 600 HM kamen mir sehr bekannt vor, hier liefen wir 2017 beim Classic hoch. Ich konnte ganz gut mitgehen, ohne mich abzuschießen. Meine Hoffnungen auf einen durchgängig starken Lauf bekamen bereits auf dem ersten Abstieg nach San Pedro einen Dämpfer. Ich fand den echt steil und blieb vorsichtig, aber die Spanier überrannten mich einfach. Ich ließ mich nicht verrücktmachen. Downhill-Training war halt seit dem TAR nicht mehr vorhanden. Nun folgte einen fast 20 Km laaaaanger Anstieg nach Artenara mit kleineren Unterbrechungen. Das ist eine kritische Phase. Wer hier überdreht, bekommt früher oder später die Quittung.

Vor allem das Stück nach El Hornillo hoch tat mir nicht gut. Es war stellenweise noch matschig von der Nacht und halt wieder sehr steil. Da ging so mancher Trailrunner an mir vorbei. 2:09h zeigte die Uhr am ersten VP, das war doch deutlich länger als erwartet. Ich füllte meine beiden leeren Flasks auf, aß zwei Orangenviertel und ein paar Nüsse. Erst ab dem Stausee “Los Perez” kam ich wieder etwas ins Laufen. Ab Km 10 nur noch gehen, das würde nicht mal für den Cut-off reichen. Aber es fiel mir sehr schwer, obwohl ich schon zwei Spring Energy reingehauen hatte.

Als Artenara mit seinem Wahrzeichen, dem Mirador de Los Poetas, endlich in Sicht kam, standen schon über 3,5h auf der Uhr. Wir liefen den VP über den Sportplatz der Schule an. Dort verpflegte ich mich gut und in aller Ruhe mit ein paar Kartoffeln. Ich wusste ja, dass nochmal 600 HM bis zum Cruz de Tejeda folgen würden. Die Stimmung in Artenara war förmlich ausgelassen, da war richtig was los. Kein Vergleich zum letzten Jahr, als wir ausgekühlt drinnen saßen und auf den Bus warteten. Vorbei am Aussichtspunkt fragte ich mich schon, was das denn heute werden würde/könnte. Für mein Ziel von 12h war ich schon jetzt viel zu langsam unterwegs.

Zusetzen konnte ich auch nach dem VP nicht. Ganz im Gegenteil. Zum ersten Mal musste ich auf dem Uphill Pausen einlegen und mich hinsetzen. Meine Performance verschlechterte sich zunehmend, auch die kurzen laufbaren Abschnitte latschte ich nur. Nach einer Ewigkeit war ich um den Berg rum und erblickte den Roque Bentayga im strahlenden Sonnenschein. Bis zum Cruz de Tejeda war es nicht mehr weit und dort führte ein neuer Trail nach Tejeda. Ich fand das überhaupt nicht gut, denn der breite und nicht zu steile Downhill nach Tejeda war immer eines meiner Highlights. Und wie ich es befürchtet hatte, es folgte ein steiler Singletrail. Die Sonne brannte nun gnadenlos.

Immerhin, es war nicht rutschig und nur stellenweise matschig. Es ging dann auch noch auf sehr schmalen Pfaden durch die Hinterhöfe von Häusern und als ich die Kirche endlich erblickte, durfte man wieder hochzuckeln nach Tejeda. Mir war heiß, mir war etwas übel und so richtig hatte ich keine Lust mehr. Als ich dann auf die Uhr schaute, sah ich nur ein blaues Display. Dass auch noch die Suunto 9 den Geist aufgibt, ruinierte meine Motivation vollends. Im VP setzte ich mich erstmal für 10 Minuten und bemitleidete mich. Weitermachen? Aufhören? Es ging mir nicht gut, aber so richtig beschissen auch nicht. Also beschloss ich, nach dem Rauslaufen Marek anzurufen.

Das tat dann gut. Überhaupt, die Spanier machen das cleverer. Die laufen oft zu zweit und labern in einer Tour. Das hilft sehr bei der Ablenkung und man kann sich gegenseitig motivieren. Allein auf so einem Brett ohne Crew an der Strecke ist halt härter. Und so gestaltete sich dann auch der Anstieg zum Roque Nublo. Auf einem neuen Trail ging es direkt 200 HM nach La Culata runter, um dann an einem Stück zum Roque hochzusteigen. TGC Legende Luca Papi zug schnatternd an mir vorbei. Hatte ich erwähnt, dass ich die 3 Km Asphalt immer super fand? Auf dem Aufstieg lieferte ich mir ein Duell mit einer spanischen Wandergruppe. Ich überholte sie, dann sie wieder mich. Mehrere Male fragten sie mitleidig, ob es mir gut gehe.

 

Transgrancanaria 2023 Roque Nublo Zeitnahme

Nach etwa 8 Stunden schlug ich auf dem Roque an und ließ meine Zwischenzeit nehmen. Da ich annahm, dass meine Uhr kaputt sei, war mir gar nicht so klar, dass ich schon zwei Stunden hinter meinem Plan war. Die Sonne hatte zu meinem großen Glück Erbarmen und ballerte ab dem Roque nicht mehr durchgängig. Nachdem ich mir eine Dose Coca Cola beim Imbiss am Roque Nublo Parkplatz gekauft hatte, lief der Aufstieg nach Garañon überraschend flüssig. Meine Flaschen waren leer. Vor dem Campingplatz feuerte eine ganze Meute von Zuschauern an und klatschte jeden hoch. Vamos!

Im gut organisierten Basiscamp gab es Warmes zu essen und heiße Brühe. Da nahm ich auch die 10 Minuten Anstehen in Kauf. Meine Dropbag verschmähte ich diesmal nicht, denn ich lud jeglichen Ballast bis auf die Pflichtausrüstung ab. Regelrecht beschwingt machte ich mich auf nach Tunte. In der Kühle des Nachmittags lief es plötzlich wieder. Meine Schritte wurden größer und ich überholte Läufer um Läufer. Und wieder mal die Erkenntnis: Sonne ist nicht mein Laufwetter. Es folgte mein bester Abschnitt auf der Tour. Unterhalb des Picos de las Nieves wurde es neblig, einfach herrlich. Schön kühl, aber kein Wind.

Den legendären Römerweg passierte ich so schnell wie nie. Ans Aufhören verschwendete ich ab jetzt keinen Gedanken mehr. Runter nach Tunte ist es ein laufbarer, etwas verblockter Weg mit zahlreichen Stufen. Der ist wirklich erträglich und bietet sich zum Pacen an. Um kurz vor 20:00 Uhr krachte ich mit dem letzten Tageslicht am VP in Tunte rein. Flaschen nochmal auffüllen, ein Stück Pizza rein und weiter. Ich wusste ja genau, was mich noch erwartet.

Mein schwaches räumliches Sehvermögen macht es mir in der Dunkelheit noch schwerer. Aber es war trotzdem nicht unterirdisch, wie ich mich den vorletzten Anstieg hochkämpfte. Der Franzose vor mir hatte nicht mal seine Stirnlampe angeschaltet(?). Immer wieder erstaunlich, was für Typen auf diesen Ultratrails unterwegs sind. Auf der Spitzkehre angekommen gelang mir noch ein wackliges Foto des Himmels, bevor der Rechtspfeil auf den Trail nach Ayagaures deutete. Der ist stellenweise richtig giftig. Und so musste ich Läufer um Läufer passieren lassen. 12 Km sind es von Tunte bis zum Paella-Verpflegungspunkt in Ayagaures.

Sobald der Zaun rechts auftaucht, hat man es fast runter geschafft. Es geht dann nochmal gute 2 Kilometer durch den dunklen Ort auf der Straße, bevor man auf die Pendelstrecke zum VP kommt. Dort wurde richtig aufgefahren, eine riesige Paella-Pfanne wartete auf die Läufer. Hunger hatte ich nicht, ich wollte mich lieber nicht zu lange aufhalten, um nicht auszukühlen. Das Selfie zeugt nicht mehr von großartiger Motivation. Aber jetzt steigt man nicht mehr aus.

Ich nötigte mir wieder Brühe ein und latschte zum Staudamm, denn das finale furioso im Barranco de Vincentes erwartete mich. Der allerletzte Anstieg ist ein breiter Forstweg mit 200 HM, das ist unproblematisch. Und wenn ich ehrlich bin, so dramatisch war dann das Flussbett auch nicht mehr. Mich überholten zwar weiterhin so einige Advancer und Classicos(!), aber ich war mir seit Tunte sehr sicher, dass heute nichts mehr anbrennen würde. Man kann sagen, jetzt brachte ich es mit Erfahrung und einer Portion Lässigkeit zu Ende.

Am Ausgang des Flussbetts wartete Arista noch mit dieser schönen Projektion auf dem Felsen auf. Da ging mir richtig das Herz auf und ich kam etwas ins Grübeln. See you soon beim Transgrancanaria? Eigentlich hatte ich das nicht mehr vor. Obwohl man natürlich auf Gran Canaria auch ohne diesen Ultratrail wunderbar laufen kann.

Die letzten 3 Km konnte ich dann durchdschoggen. Jetzt überholte mich wirklich niemand mehr. Am Eingang zum Stadion wartete Matthias auf mich und er nahm diesen schönen Clip vom Zieleinlauf auf. 15 Stunden, 37 Minuten, 36 Sekunden zeugen von einem langen, aber trotzdem unvergesslichen Tag auf den Trails beim Überqueren von Gran Canaria.

Transgrancanaria 2023 Zieleinlauf

Nein.

Ich war ganz und gar nicht enttäuscht. Am Ende standen fast 87 Km auf der Uhr, die doch noch (mit Bildschirmschoner) weiter ihren Dienst verrichtete. So eine lange Strecke ist nur begrenzt planbar. Ich habe es dann doch wieder unterschätzt. Aber meine 10. Teilnahme am Transgrancanaria konnte ich mit der 9. Medaille krönen. Manchmal ist eben Ankommen das Maximum, hat ein lieber Bekannter sehr richtig kommentiert. Und eine andere liebe Freundin meinte, andere seien gar nicht erst losgelaufen.

Doch noch ein weiteres Mal laufen? Kann ich mir gerade nicht vorstellen. Auch wenn Marek gerne noch die offene Rechnung von 2022 begleichen würde, als uns der Regen in der Nacht vom Berg gefegt hat. Wir werden reden. Da wird sehr viel Überredungskunst (und seriöses Wintertraining) erforderlich sein, damit das Flugzeug mit mir und der 10. Medaille von Las Palmas abhebt.

 

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