Da fieberten wir so lange auf diesen Tag hin und dann geht er so schnell vorbei. Schön war’s gestern in Berlin. Und wir haben die selbstgesteckten, durchaus anspruchsvollen Ziele erreicht. Trotz aller Widrigkeiten, die dann halt auf 42,2 langen Kilometern vorkommen. Wir haben uns gegen einen detaillierten Kilometer-für-Kilometer-Bericht entschieden, auch wenn man so manche Details schnell vergessen hat. Wir beide waren froh, dass es gestern vorbei war und die Belohnung für 12 Wochen Vorbereitung eingefahren ist. Denn die verlangte von uns eine Menge ab.

Marek fasst seine Eindrücke vom Berlin Marathon zusammen:

“Es sind diese bestimmten Momente, die in Erinnerung bleiben und einen Marathon so einmalig und unvergesslich machen. Der erste direkt vor dem Start. Die letzten Minuten verstreichen, es wird ruhiger, die Anspannung und Konzentration steigt. Man geht in sich, die letzten Monate ziehen an einem vorüber. Dass man dort topfit und mit breiter Brust steht, ist nicht nur ein Verdienst der eigenen Disziplin in der Vorbereitung, sondern auch meiner Familie, die mich bei diesem ganzen Unterfangen immer unterstützt und mir die notwendige Kraft gegeben hat. Genau daran denke ich in diesem Moment, bevor es auch schon losgeht und sich 40.000 LäuferInnen in Bewegung setzen. Mein erstes Gel verliere ich kurz nach dem Start, also nehme ich die beiden anderen in die Hand. Merke für Marathon Nr.3: im Startnummernband hält das nicht. Die ersten 15 Km ziehen an mir vorüber, ohne dass ich viel davon mitbekomme. Es geht leicht. Das, was sich im Training nicht vorstellen kann: eine schnelle Pace ohne merkbare Anstrengung zu laufen, wird beim Marathon mit dem Adrenalin plötzlich Realität. Aber ein Marathon beginnt eben erst bei Km 30. Und das ist nichts als die reine Wahrheit. Die Beine werden müde, die Zweifel werden größer. Es ist exakt dieser Moment irgendwo zwischen Km 34 und Km 35, als ich schweren Herzens wahrnehme, dass es trotz allem wieder nicht reichen könnte. Vorsprung hin oder her, das große Ziel, die 3h zu knacken, es könnte auch heute schiefgehen. Ich nehme jedes Wasser mit, bleibe bei Km 37 sogar 30 Sekunden stehen, damit ich richtig trinken kann. Das tat gut. Kurz vor dem Potsdamer Platz sehe ich plötzlich Milosz, er filmt mich und muntert mich auf. “Du bist 2 min unter der Zeit, jetzt einfach nur noch durchlaufen.” Keine Ahnung, was ich ihm geantwortet habe, aber die Ablenkung und Motivation taten mir sehr gut. Ich werde trotzdem danach immer langsamer. Potsdamer Platz. Ich nehme kaum etwas von der Begeisterung wahr. Bei km 39 wartet meine Familie. Ich wollte eigentlich kurz anhalten, aber der Kopf sagt nein. Abklatschen meiner Jungs und weiter gehts. Es geht links in Richtung Ziel. Km 40. Und wieder einer dieser besonderen Momente. Ich weiß, es kann jetzt nicht mehr viel passieren. Ich müsste schon den Rest gehen, wenn ich das noch herschenken will. Die Freude kommt beim Einbiegen auf die Zielgerade richtig durch. Brandenburger Tor. Durch. Die letzten 300 Meter genieße ich. Fotografen säumen die Strecke. Viele sprinten an mir vorbei, na und. Das Ziel ist da, die Uhr ist gestoppt. 02:58 sehe ich auf der digitalen Anzeige. Die Erleichterung ist riesig. Ich versuche jeden der folgenden Momente in mich aufzunehmen. Das Umhängen der Medaille, das Foto danach, die Freude der anderen Marathonis. Und schon 30 min danach ist der “das mach ich nie wieder”-Gedanke komplett verflogen. Berlin-Marathon – ich bin stolz, ein Teil dieses Events gewesen zu sein. Danke Berlin!”

Ist es wirklich so? Denkt man sich “nie wieder” während des Leidens auf den letzten Kilometern, beim Kampf gegen sich selbst? Den Respekt vor dem Marathon haben wir jedenfalls nicht abgelegt. Aber sind um viele Erfahrungen reicher geworden. Der Stolz bleibt eine ganze Weile. An die Schmerzen denken wir nach ein paar Tagen nicht mehr. Henrik ging es sogar noch schlechter auf dem Weg zum Brandenburger Tor:

“Nicht mal den Startschuss habe ich gehört. Eine Zwillingsschwester namens Christine hat mein Shirt gesehen und redet ein paar Worte mit mir, 10 Jahre Berlin Marathon, Jubilee-Club, die Konzentrationsphase vor dem Start fällt aus. Aber dieser Kleiderabgabewahnsinn ging nicht schneller! Plötzlich setzt sich die Masse in Bewegung, ich starte die Uhr. Die ersten Kilometer sind so leicht und fliegen vorbei. Die Strecke ist trotz des Startblocks E überraschend voll und eng. Die Wasserstellen sind so kurz, dass ich die ersten beiden verpasse. Am Moritzplatz realisiere ich, dass das schon Km 15 ist. Ich weiß, dass ich etwas zu schnell laufe. Erst bei Km 18 am Kottbusser Damm überhole ich den 3:30h-Läufer. Ein Flow stellt sich nicht richtig ein, zuviel Zickzack aufgrund der vielen Läufer. Ich frage mich die ganze Zeit, warum das im letzten Jahr anders war. Mir geht es gut, streckenweise ist mir regelrecht langweilig und ich bereue, keine Musik mitgenommen zu haben. Doch eine Schrecksekunde macht mich bei Km 26 hellwach: der Forerunner fliegt weg! Ich sehe ihn aufschlagen, schere nach rechts, um ihn aufzuheben, fast rennen mich Läufer über den Haufen. Das Armband hatte sich gelöst. Zum Glück lief er weiter. Den Rest des Laufs trage ich ihn in der Hand. Ich halte die Pace von 4:45/Km im Großen und Ganzen weiter aufrecht. Gerade die Wasserstellen kosten zuviel Zeit, “Nahkampf” ist wohl die richtige Bezeichnung für die Versuche, sich einen Becher mit dem kostbaren Gut zu angeln. Nach dem “Wilden Eber”, wo Studienfreund Hannes fast auf die Strecke springt, damit ich ihn sehe, war es dann aber vorbei mit dem Flow. Ich schaffe noch einen Kilometer in 4:30 min und schiele ab nun verdammt oft auf die Kilometerschilder. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Frau Trainerin die Quittung für die Pace in der Anfangsphase ausdrucken. Ich kann mich nicht mehr aufraffen, schneller zu laufen, obwohl ich muskulär keine Probleme habe. Ich kriege sogar mit, dass Mutai hinter dem Weltrekord geblieben ist. Am Potsdamer Platz läuft Milosz plötzlich vor mir und filmt das Leiden (siehe Clip). Ich schaue oft auf die Uhr -die hatte ich ja weiterhin fest im Griff-, so schlecht sah das doch nicht aus! Unsere größten kleinen Fans klatsche ich bei Km 39 ab. Die Leipziger Straße kann furchtbar lang werden. Ich laufe mitten durch die Feuerwehrdusche -aber nur, weil es der kürzeste Weg war-, verliere nochmal elendig Zeit am letzten Wasserpunkt und schiebe mich auf die Zielgerade. Ob nun 3:22, 3:23 oder 3:24 war mir jetzt ziemlich egal. Viel nehme ich nicht mehr wahr, auch die letzten 500 Meter tun noch weh. Nochmal posen für den Fotografen und Riesenerleichterung macht sich breit, als ich endlich anhalten kann. Und die Erkenntnis, dass das zweite Mal einfach anders ist. Ich habe manches aus einem anderen Blickwinkel gesehen, manches intensiver, manches entspannter. Aber mit dem ganzen Drumherum war der Berlin Marathon wieder ein irres Erlebnis mit großen Emotionen.”

Henrik Lange - Berlin Marathon 2012