TGCEOS 13

Zweiter Anlauf, zweites Finish und zweites Lauferlebnis, das ich so schnell nicht vergessen werde. Der Transgrancanaria Advanced Ultratrail bot wieder das volle Programm und nichts davon habe ich ausgelassen. Bis auf eines: eigentlich wollten wir zusammen auf der Insel starten, aber für Marek war der Termin zwischen den Ferien nicht machbar. Also stürzte ich mich wieder allein auf die durchaus anspruchsvollen 81, 82 oder 83 Km – so richtig genau wusste das niemand zu sagen.

Im letzten Jahr zählte bei meinem ersten Ultratrail überhaupt nur das Finish. Darauf war ich allein schon ganz stolz, zumal das Training bescheiden war. Die Situation in diesem Jahr war eine völlig andere: gut 1.500 Trainingskilometer in den drei Monaten vor dem Rennen, keine ernsthaften Blessuren, eine gefühlte und im Wettkampf bestätigte sehr gute Form, dazu die Streckenkenntnis und ein paar Lessons learned aus dem Vorjahr – das zusammen ergab viel Selbstbewusstsein für die Wiederholung. Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob der zweite Anlauf wirklich leichter würde.

Und leichter war er keinesfalls. Die Strecke wurde auf vielfachen Wunsch auf den letzten 15 Km angepasst und in meinen Augen deutlich verschärft, aber auch leicht verkürzt. Es geht nun nicht mehr den staubigen Schotterweg entlang, sondern einige feine geröllige Downhills, ein Flussbett und einen weiteren Anstieg mit etwa 200 HM. Damit waren die bisherigen Streckenrekorde obsolet und die Karten wurden neu gemischt.

TGCEOS 08Der Start ex Fontanales war wieder eine emotionale Achterbahnfahrt, wenn auch nicht ganz so schlimm wie 2015. Daniel Kumelis lief auch mit und wir konnten uns noch ablenken und ein Selfie twittern. Wir sortierten uns vorne ein, um nicht gleich in einen Stau zu geraten. Somit wurde ich nach dem verspäteten Startschuss fast über den Haufen gerannt. Nein, dieses Geschubse ist nichts für mich. TGCEOS 11Etwa 70 Läufer waren vor uns, als wir unser Tempo langsam fanden und die ersten Kilometer hinter uns gebracht hatten. Bis Teror (Km 13,6) blieben wir lose zusammen, Daniel rannte die Downhills irre schnell hinunter, ich hatte auf den noch rutschigen Steinen mehr Respekt. Ich ging die Wette ein, schon am Anfang die Anstiege etwas schneller zu erklimmen als im Vorjahr. Aber wie bemisst man “etwas”? In Teror waren wir jedenfalls deutlich unter 90 Minuten – das war eine Ansage.

Danach beginnt der längste Anstieg des Tages inkl. vieler Treppen und Gekletter zum Cruz de Tejeda. Auch hier überholte ich vereinzelt Läufer. War das zu schnell? Die Quittung wird später ausgestellt, soviel war sicher. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich am Kreuz war und endlich auf die gut laufbaren Trails runter nach Tejeda gehen konnte. Mir ging es gut. Mehr kann man nach 25 Km nicht feststellen, das Rennen ist noch sehr lang. Gut verpflegt mit Cola und Iso folgte dann der Aufstieg zum Roque Nublo. Daniel ließ sich unterhalb kurz blicken, ließ dann aber wieder abreißen. Der Routinier wusste seine Kräfte sehr gut zu schonen. Jetzt folgte für mich ein Tief, der Weg nach oben erschien mir so viel länger als im Training. Die Sonne kam nun raus und der Wolkenfels konnte in seiner ganzen Pracht bewundert werden. Keine Zeit dafür! Oben auf der Pendelstrecke kam mir Daniel entgegen, um dann auf dem Abstieg vorbeizufliegen. Es gibt einen Checkpoint am Ende der Pendelstrecke, den man nicht auslassen sollte (ist im Video zu sehen).

TGCEOS 15In Garanon befindet sich die “Mittelstation” des Advanced-Laufs und die reichhaltigste Verpflegungsbasis mit Kleiderbeuteltauschmöglichkeit. Meine Stöcke gab ich dem Gregor, auch wenn sie mir bis dahin großartige Dienste geleistet hatten. Ich haute mir Pasta rein, weil ich bis dahin (Km 39) nur zwei Gels genommen hatte. Eine gute Wahl. TGCEOS 16Auf dem folgenden kurzen, aber steilen Anstieg zum höchsten Punkt der Insel, dem Pico de las Nieves, half mir das zwar noch nicht, aber diesmal zog es mir zumindest nicht den Stecker. Der eine Kilometer und die 300 HM sind eine Prüfung für alle Läufer, egal, ob auf Marathon, Advanced oder TGC. Hier sieht man schon mal Männer auf allen Vieren hochkriechen. Auf der Leitplanke der Gipfelstraße klebt das “noch 40 Kilometer”-Schild. Na bitte! Jetzt geht es (größtenteils) nur noch runter.

Aber auch das heißt nach den absolvierten Höhenmetern nichts Gutes für die Oberschenkel und die Füße. Viel Konzentration ist nötig, um keinen Abflug zu machen. Ich war in Garanon etwa 45 Minuten unter meiner Vorjahreszeit. Jetzt schon alles zu riskieren, wäre Blödsinn. Also ließ ich mich auf dem Downhill nach Tunte, der den für mich spektakulärsten Abschnitt der Strecke beinhaltet, einige Male überholen. Wer sich bis jetzt nicht mit dem Geröll und den Steinen angefreundet hatte, würde das heute nicht mehr tun. Der Transgrancanaria ist eine technische Angelegenheit. Tunte? Von da sind es doch “nur” noch 32 Kilometer!

TGCEOS 17Das Tempo war nun bescheiden, aber immer noch ordentlich. Einige Abschnitte des Anstiegs hinter Tunte konnte ich sogar laufen und wieder den einen oder anderen einsammeln. Das machte Mut für das letzte Drittel. Oben ging es dann auf den neuen Streckenabschnitt, der mir erstaunlicherweise weniger Probleme als im Training bereitete. Die Freunde des gepflegten Geröll-Downhills kamen nun auf ihre Kosten. Es dauerte trotzdem eine Ewigkeit, bis der Stausee von Ayagaures sichtbar wurde. Wieder Cola, wieder Iso und schon war ich auf dem letzte Etappe des Tages. Für Gregor war ich zu schnell, er schaffte den Checkpoint nicht mehr mit dem Auto anzufahren. Wieder konnte ich ein paar hundert Meter auf der wirklich letzten Steigung des Tages (200 HM) laufen. TGCEOS 19Das bringt Minute um Minute. Jetzt begann ich leider zu rechnen und malte mir aus, dass ich die letzten 15 Kilometer in 90 Minuten schaffen würde. Das gelang aus Gründen nicht. Im Training lief ich durch das Flussbett mit frischen Beinen, nun stolperte ich mangels Fersenhub durch. Und es kam, wie es kommen musste, etwa auf Km 72 küsste ich die Steine. Schnell aufrappeln, schnell weiterlaufen, alles andere bringt nichts. Zum Glück nichts passiert, die Schmerzen würden sowieso erst später kommen. Leider zogen nach dem Sturz noch eine Handvoll Läufer vorbei, die ich aber wohl auch ohne diesen nicht hätte aufhalten können. 125 Km-Finisher Kersten hat diesen Teil der Strecke liebevoll den “japanischen Garten” genannt.

Ich habe laut geflucht und die Kraftausdrücke möchte ich nicht wiederholen, das half, um endlich etwa 6 Kilometer vor dem Ziel auf die alte Strecke zu biegen. Ein Schotterweg – welch ein Genuss! Nun noch durchlaufen ohne Gehpausen. Leichter gesagt als getan und reine Kopfsache. Aber es klappte irgendwie und ich erlaubte mir den Luxus, beim allerletzten Verpflegungspunkt im “Flussbett des Grauens” hinter der potthässlichen Autobahnbrücke von Playa del Inglès noch fünf Minuten zu vertrödeln. Ab Km 5 wird runtergezählt und da der Strand komplett umlaufen wird, konnte ich nochmal anziehen. Plötzlich gehorchen die Beine wieder. Ich höre das Geplärre vom Zielbereich. Ich sehe das Konferenzzentrum. Auf der Pendelstrecke der letzten 100 Meter fliege ich noch an einem Marathoni vorbei, um den Zielbogen ganz für mich zu haben. Und abrupt ist es beendet. Nach 10 Stunden und 50 Minuten. Im Tageslicht. Eine wahnsinnige Erleichterung bricht sich Bahn.

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Natürlich, ich hatte mir Ziele gesetzt. Plan C: Finishen, Plan B: im Tageslicht ankommen, also unter 12h, Plan A: Top 50. Nun ist es der 58. Platz geworden und bis zum 50. sind es einige Minuten. Aber ich hätte für diese Minuten eben viel mehr riskieren müssen. Und das war es nicht wert. Allein mehr als zwei Stunden schneller zu sein als im Vorjahr reicht mir aus, um zu wissen, dass dieser Transgrancanaria am Limit meiner Möglichkeiten war. Ich habe für dieses Ergebnis hart gekämpft. Trotzdem kann so viel passieren auf mehr als 82 Km und ich habe unverändert einige Dummheiten begangen. Aber: jeder, der diese im Rahmen seiner Möglichkeiten ins Ziel bringt, ist ein Sieger über sich selbst.

Schöner kann man dieses Erlebnis nicht bezeichnen: ein Tanz auf dem Vulkan.

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Wer sich für das Rennen der Elite interessiert, findet hier bei irunfar.com einen schönen Rennbericht.