von Marek | 25.04.23 | Laufen, Planung, Strecken, Technik, Trailrunning, Wettkampfbericht
Ich habe in diesem Jahr einmal ein kleines Experiment gewagt. Die Saisonplanung für uns beide geht ganz klar in Richtung Berge und Trails (Rennsteiglauf, Mozart 100, Stubai Ultratrail, Berliner Höhenweg, Pyrenees Stage Run, O-See Ultratrail). Während Henrik mit dem Transgrancanaria und dem Laufcamp auf Lanzarote schon einige Kilometer abseits der Straße zugebracht hat, habe ich versucht, das Winter- und Frühjahrstraining auf die Straße auszurichten – mit dem Ziel, meine Marathon-Bestzeit aus 2015 anzugreifen. Kann das funktionieren? Dieser Ansatz kann nur eine Art Kompromiss zwischen beiden Welten sein, wobei für beide “Ziel-Terrains” Gemeinsamkeiten bestehen. Grundlagenausdauer ist in jedem Fall erforderlich und die schnellen Tempoeinheiten sollten gute Impulse geben, wenn es in Richtung Höhenmeter geht. Nicht umsonst werden kürzere Straßenläufe auch für Trailrunner in der Vorbereitung für sinnvoll erachtet, auch wenn es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint.
Natürlich – die Höhenmeter fehlen mir größtenteils und sind nicht so einfach mit alternativen Methoden ersetzbar. Wer gut die Berge hoch- und runterkommen will, der muss auch in den Bergen trainieren. Aber das ist für mich, der im Berlin/Brandenburger Flachland lebt, eben auch nichts Neues. Für alle meine bisherigen Transalpine Runs habe ich mich im Flachland vorbereitet. Einige Crossläufe können einem ein gutes Gefühl vermitteln, wie sich die Anforderungen im Gelände von dem Tempo-Gebolze auf der Straße unterscheiden.
Des Weiteren versuche ich etwas vielseitiger zu trainieren und habe nun auch das regelmäßige Krafttraining aufgenommen. Ich verspreche mir davon mehr Stabilität im Oberkörper, gerade wenn die Müdigkeit auf den langen Distanzen einsetzt. Besonders der Rücken ist meine Schwachstelle und auch die Verletzungsanfälligkeit wird sich (hoffentlich) auch reduzieren. Dass ich in dem Bereich ein großes Potenzial sehe, hat einen einfachen Grund: in meiner ganzen Zeit, in der ich aktiv laufe (seit nunmehr 17 Jahren) habe ich kein Krafttraining gemacht. Dass es eine sinnvolle Ergänzung ist, dürfte mittlerweile unumstritten sein.
Dass sich das Training für die Straße ausgezahlt hat, war an den Ergebnissen im Winter schnell erkennbar. Mitte Januar habe ich etwas Tempo aufgenommen und konnte gleich zu Beginn an meine 15km-Bestzeit heranlaufen. Zwei Wochen später hat es sogar zu einer neuen Bestzeit im Halbmarathon gereicht. Überhaupt hatte ich ein richtig gutes Gefühl auch im Training. Dann kam nochmal Corona vorbei, hat mich aber nur kurzzeitig aufgehalten. Rund 150 Laufkilometer fehlten dadurch allerdings im Februar. Anfang März habe ich ein 30km-Cross-Rennen versucht und war mit dem Ergebnis durchaus zufrieden. Auch der letzte lange Lauf vor dem Frühjahrs-Marathon hatte einen hohen Cross-Anteil. Der finale Test fand dann am 25.03. in Grünheide über die 50km statt (flach, 75% Straße, 25% Wald). Auch hier war ich noch nicht bei 100% meiner Leistungsfähigkeit, aber ich konnte meine Zeit aus 2018 um mehr als 2min unterbieten und das gesamte Rennen im sub3h-Marathon-Tempo absolvieren. So war ich zuversichtlich, dass die 1400km in 2023 auch für eine neue Marathon-Bestzeit am 23. April in Leipzig ausreichen würden. Quasi ein “Mitnahmeeffekt” auf dem Weg in die Berge.
Es hat so semi geklappt am Wochenende in Leipzig. Ich habe mich zu Beginn des Rennens sehr stark gefühlt und war klar auf Kurs 02:48h, musste dann aber auf der 2. Runde arg kämpfen und rettete die Bestzeit erst auf der Zielgeraden um lächerliche sieben Sekunden. Über Bestzeiten schimpft man nicht, ich hatte aber den Eindruck, dass ich mit einer besseren Renneinteilung wesentlich mehr hätte erreichen können. Das Potential war also da und Ausreden suche ich dafür auch nicht.
Bild: Marcus Krüger
Video: Baer Service
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von Marek | 21.10.22 | Laufen, Trailrunning, Ultra, Wettkampfbericht
Es war gegen 13:30 an einem dunklen und verregneten Samstag-Nachmittag im Oktober im Zittauer Gebirge, als ich am letzten Verpflegungspunkt des Tages angekommen war. 45km waren gelaufen, hinter mir lag der Anstieg zum Hochwald, eine sehr felsiger Aufstieg, bei dem ich alles mobilisieren musste, was ich noch in mir hatte. Viel war es nicht mehr. Ich gönnte mir einen warmen Tee und der Betreuer bewunderte meinen Becher: “das ist wirklich der beste Becher, den ich hier heute bisher gesehen habe!”. Recht hatte er, schließlich habe ich diesmal den gelben Mauerweg-Becher eingepackt und nicht auf die winzigen und unhandlichen Trinkbecherchen gesetzt, die man sonst bekommt und die keiner Brühe oder Suppe wirklich standhalten können. Natürlich kommen wir ins Gespräch und auch mein Mauerweg-Finish von diesem Jahr bleibt nicht unerwähnt. Es war eines von vielen sehr netten Gesprächen, die ich an diesem Tag hatte. Meine erste Teilnahme am O-See Ultrail – es war mir ein innerer Vorbeimarsch, so sehr habe ich diesen Vormittag auf den Trails des Zittauer Gebirges an der Grenze zu Tschechien und Polen genossen.
30min vor dem Start
Spontan hatte ich mich unter der Woche kurz vor Anmeldeschluß in die Starterliste des 50km-Rennens eingetragen. Auch 65km waren im reichhaltigen Trail-Angebot, aber ich blieb “vernünftig” und meine Wahl sollte sich als goldrichtig herausstellen. Da der Start erst um 08:00 erfolgte, genügte mir eine Anreise am frühen Morgen. Aber warum eigentlich noch ein Ultra nach den Highlights der Saison mit Mauerweglauf und Transalpine Run? Was soll ich sagen: ich hatte einfach Lust drauf. Lust auf Draußensein, Lust auf schöne Trails, Lust auf coole Menschen, die die gleiche Leidenschaft teilen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil – die Professionalität des Events, die Top-Organisation, die einzigartige Landschaft und nicht zuletzt die entspannten Helfer und Teilnehmer – haben mich wahrlich begeistert. Als ich gegen 15:00 den Parkplatz an der Sporthalle im wunderschönen Oybin wieder verließ, war ich mir sehr sicher, dass das ganz sicher nicht das letzte Mal war, dass ich an der Veranstaltung teilgenommen habe.
Zugegeben, ein wenig habe ich im Vorfeld mit einer vorderen Platzierung geliebäugelt. Aber als ich gesehen habe, wie die Jungs den ersten Anstieg nach oben geflogen sind, hatte sich das Thema schnell erledigt. “Vielleicht sammele ich noch ein paar hintenraus ein”, dachte ich mir. Um es vorwegzunehmen, auch hier war nur der Wunsch Vater des Gedankens. Die Spitzengruppe wird mir am Ende über eine Stunde voraus sein und läuft in einer anderen Liga. Ich bleibe (gezwungenermaßen) vernünftig und mache mir bewußt, dass die 50km nun auch keine Kurzdistanz sind und ich nicht gleich am Anfang die wenigen taktischen Zwänge über Bord werfen sollte. Und auch die Strecke hat großen Anteil an meiner Entscheidung. Hier steht Trail drauf. Und es wird Trail geboten. Forststraßen, Asphalt, Waldautobahnen – nichts davon bekommt man hier zu Gesicht. Die Anstiege sind ordentlich verblockt und steil, es geht über viele Treppen (Natur und künstlich) und auch die Downhills haben es in sich. Das viele Laub verdeckt die Steine und man traut sich kaum, richtig zu beschleunigen, ohne auf einem der Steine auszurutschen oder umzuknicken. Das Ganze beeindruckt mich doch etwas und ich gestehe mir ein, dass ich die Strecke unterschätzt habe. Solch eine technische Strecke hätte ich in unseren Mittelgebirgen nicht erwartet. Es ist ein ständiges Auf und Ab, vorbei an vielen Felsen und wunderschönen Wegen. Und wenn auch das Wetter mitgespielt hätte, die Ausblicke wären ein Traum gewesen. Leider regnete es seit dem Start durch und es wurde nicht so richtig hell. Ich sollte meine Regenjacke über die gesamte Zeit nicht mehr ausziehen. Der Blick war vernebelt, mein Kopf war es nicht.
Trailrunning at its best
Ich bin einige Kilometer unterwegs und verlaufe mich an einer der Treppen das erste Mal. Ich muss einen kleineren Anstieg wieder hoch und kurz darauf auf dem Downhill meinen Verfolger passieren lassen. Wieviel Risiko ist heute vertretbar? Die Downhills machen Spaß und ich habe das Gefühl, dass die Erfahrungen vom Transalpine Run mir hier zugute kommen. Trotzdem muss man vollste Konzentration aufbieten, um nicht zu stürzen. Ich habe das Gefühl, dass es an allen Sehenswürdigkeiten im Zittauer Gebirge vorbeigeht und mache nach 15km die ersten Fotos. Dass noch Potential nach vorne vorhanden ist, bezweifele ich zu dem Zeitpunkt schon stark. Beeindruckend, was manche hier auf die Trails zaubern. Den nächsten Verpflegungspunkt erkennt man schon von Weitem durch die große Feuerstelle. Es ist so gemütlich und urig, dass man am liebsten länger dort verweilen würde. Aber meine Taktik setzt auf die Eigenverpflegung und ich lasse bis zur Hälfte alle Stationen links liegen. Später halte ich nur für die Getränke an. Das klappt gut.
Es geht über den Buchberg, auf dem ich vor vier Jahren mal ein Segment erstellt habe und das Gipfelschild wiedererkenne. Es ist auch der letzte längere Anstieg, den ich noch hochlaufe. Ein ständiges Up and Down erlaubt es partout nicht, sich einmal länger zu erholen. Bis auf die tollen Helfer unterwegs bekomme ich nicht viele Menschen zu Gesicht. Ich begegne Frank aus Berlin, der mich sofort erkennt und wir plauschen kurz. Ich überhole nicht und werde auch nicht überholt. Es muss kurz hinter der 30km-Marke gewesen sein, als Stefan heranläuft. Wir kommen gut ins Gespräch. Er ist etwas stärker beim Uphill, ich komme etwas fixer herunter. Auf einem der Downhills stürzt hinter mir eine Teilnehmerin, zum Glück passiert nichts. Wir walken gemeinsam zur Lausche herauf, die Sicht ist auf dem höchsten Punkt der Strecke gleich Null, man sieht nichts. Und auch der Downhill zum nächsten VP ist tricky. Das Laub, die Steine, die Nässe – eine suboptimale Kombination. Dennoch ist die Stimmung am VP gut, es laufen sogar noch weitere Läufer auf. Ich schätze zu dem Zeitpunkt (nach 4h 30m), dass wir für die 15km noch ca. 2h benötigen werden.
der vorletzte Anstieg
Es geht über den Kammweg an der Grenze zu Tschechien, die Strecke wird nun immer matschiger aufgrund des Dauerregens. 1800 Höhenmeter stehen schon auf der Uhr, aber es geht munter weiter über felsige Aufstiege und Treppen. Sind wir hier im Märchenland? Es scheint so. Ich muss die Zähne fest zusammenbeißen, um noch halbwegs anständig vorwärtszukommen. Pavel zieht vorbei und macht einen entschlossenen Eindruck, hier nicht mehr nachzugeben. “Was für ein Brett” denke ich mir mehrfach. Meine im Voraus anvisierten 5,5h muss ich nun beerdigen. Nach 40km und 2000 Höhenmetern geht es im Nebel den letzten Anstieg hoch. Das ist zumindest meine Hoffnung. Natürlich täusche ich mich. Der Hochwald wartet noch auf uns. Und der zieht nochmal richtig rein. Wir klettern über ein dichtes Steinfeld zum zweithöchsten Punkt des Tages. Ich habe vollends genug der Höhenmeter und krieche förmlich nach oben. Am VP bei km45 kommt Stefan wieder heran. Wir sind uns einig, dass wir die letzten 5km auch noch packen. Der Downhill erinnert mich ein wenig an die Gran Canaria-Rutschpartie, aber ich komme gut herunter ohne zu stürzen. Die letzten 2km sind dann fluffig zu laufen, endlich kann ich auch nochmal beschleunigen. Und dann kommt auch schon der überdimensionale La Sportiva-Zielbogen in den Blick. Aus. Vorbei.
der Hochwald war eine Prüfung
Mir fällt partout nichts ein, was man an dieser Veranstaltung kritisieren könnte. Für das Wetter kann nun wirklich keiner was. Aber was hier auf die Beine gestellt wird, beeindruckt mich. Alles ist sehr professionell, die Menschen sind sehr herzlich und hilfsbereit. Da können sich einige Veranstalter eine Scheibe abschneiden. Wie schrieb David als Kommentar auf meinem Strava-Post: “die Strecke ist so schön wie sie schwierig ist.” Der O-See Ultratrail: ein wirklicher Geheimtipp für alle Trail-Liebhaber! Ich komme wieder, keine Frage.
von Marek | 17.09.22 | Laufen, Trailrunning, Wettkampfbericht
Am Ende wurden es lediglich 240 Km und 15.000 Höhenmeter. 8 Tage, 3 Länder, 250 Teams. 70 Energiegels haben wir gefuttert. Aber das sind bloß Zahlen. Wir wollen lieber die ganze Geschichte erzählen.
Der Transalpine Run ist für uns einfach etwas Besonderes. Aber warum ist das so? Dieser Etappenlauf über rund 250km quer über die Alpen ist einfach kein normaler Lauf. Es ist eine Reise, die uns jedesmal in ihren Bann zieht. Es ist ein Erlebnis, das lange nachwirkt und das man nicht so schnell aus dem Kopf bekommen kann. In diesen Tagen durchläuft man ein Tal von Emotionen, die alle in irgendeiner Weise dazu beitragen, dass man sich verändert, Dinge neu einordnet und so manches weniger verbissen sieht. 8 Tage nur mit dem Teampartner, das heißt auch 8 Tage in einem Boot zu sitzen, alles, wirklich alles gemeinsam zu durchleben, zu erleben, zusammenzustehen und ein Gottvertrauen aufzubauen, dass beide diese Herausforderung meistern können.
Als wir 2016 zum ersten Mal über die Berge von Garmisch in Deutschland nach Brixen in Italien gelaufen sind, haben wir nicht ahnen können, welche Anziehungskraft diese TAR-Familie auf uns ausüben würde. Dieses Jahr markierte für Henrik seine 5. und für mich meine 4. Teilnahme. Man kann es vorwegnehmen: wir haben alle Etappen bisher erfolgreich beenden können.
Was genau ist das Erfolgsrezept, um diesen knallharten Etappenlauf erfolgreich durchlaufen zu können? Es braucht den richtigen Riecher in vielen Situationen. Geht’s dem anderen gut, kann man etwas tun, ist auch einmal Klappe halten angesagt? Natürlich haben wir als Brüder einen Riesenvorteil. Wir kennen uns aus dem ff, oftmals bedarf es keiner Worte, um uns zu verstehen. Und ich glaube, wir beide beherrschen das ziemlich gut. Zugegeben, Henrik musste diesmal von uns beiden einiges mehr investieren, damit wir heil und in einem Stück über die Alpen kommen.
Wir nehmen euch einmal mit auf diese 8 Tage, die (natürlich!) wieder einiges an Überraschungen und Dramatik bereithielten.
“Erst Rock, dann Schock” | Etappe 1 | Garmisch (D) – Nassereith (A) | 43 Km | 2.180 HM | Autor: Marek
Wie immer hatten wir uns einiges vorgenommen. Es reichte dank der frühen Anreise sogar noch für einen Abstecher zur Partnachklamm am Freitag. Mal eben 10 Km spazieren einen Tag vor dem Rennen. Nun ja. Selbstbewusst ging es über den asphaltierten Weg bis zum ersten Anstieg. Doch schon hier zeigte sich, dass Henrik noch nicht im Rennen angekommen war. Hoch ging es beschwerlich und zäh. Die erste Skipiste zeigte dann bereits die Grenzen unseres Unternehmens auf. Viele alte und neue Gesichter zogen vorbei. Piste Nummer 2 ging dann schon besser, doch unseren Ansprüchen genügte das bei Weitem nicht. Auch in der Ebene konnte Henrik kein richtiges Tempo aufbauen.
Aus Ehrwald heraus drohte der erste längere Anstieg: der Schaftkopf war die erste Prüfung dieses TARs. Gleiches Bild: gefühlt fliegt das halbe Feld vorbei. Was kann man tun in diesen Situationen? Nicht viel. Aber zumindest nicht den Fehler machen, den Schwächeren abzuhängen und wegzulaufen. Wir wissen aus Erfahrung: das geht überhaupt gar nicht und gibt dem Partner den letzten Rest. Also ruhig und “kontrolliert” (aka so langsam wie nötig, so schnell wie möglich) nach oben ziehen. Und man ist schneller auf dem Gipfel, als man für möglich hält. So auch diesmal auf dem Montaneweg. Schön trailig ging es weiter (mit der ersten “gefährlichen Passage”), bevor hinter dem Marienbergjoch der zweite Anstieg auf uns wartete. Und siehe da: vielleicht nicht in Weltrekordzeit, aber ganz passabel kamen wir bei Streckenchef und Popstar Martin Hafenmair oben an. Die folgende Nassereither Alm war gut laufbar, obwohl Henrik weiter “am absoluten Limit” operierte. Das Beste kommt ja bekanntlich zum Schluss: der Downhill nach Nassereith wartete. “Bitte lass dich am Leben!” gab mir Henrik noch mit, bevor er nach unten verschwand. Ich versuchte zu folgen, aber merkte schnell, dass das mangelnde Downhill-Training sich bemerkbar machte. Ein kleines Biest ist der Abstieg schon. Die Untergründe wechseln ständig. Steine, Wurzeln, Geröll. Die 4km waren schon fast geschnupft, dann passierte es: ich knickte in einer Situation der Unkonzentriertheit um und fand mich auf dem Boden wieder. Man muss dazu sagen: Umknicken passiert schonmal im Eifer des Downhill-Gefechts. Nur meistens eben nur leicht und folgenlos. Ich wußte sofort danach, dass es eben keiner dieser kleinen “Unfälle” war. Der Schmerz war da und irgendetwas lädiert. Was macht man in dem Schreck? Aufstehen und Weiterlaufen! Der schnelle Downhill hatte sich zu den Zeitpunkt erledigt. Ich humpelte die letzten 800m herunter und wollte nicht wahrhaben, was da gerade passiert ist. Henrik wartete auf mich, er hatte trotz meines Aufschreis nichts mitbekommen. Irgendwie schleppte ich mich ins Ziel, die gute Stimmung war im Eimer, obwohl wir unsere Zeit von 2018 um 10min geschlagen hatten.
Bei den Physios kam allen ein déja vu von Henriks kaputtem Fuß von 2019 hoch: auch dort ging es trotz des ähnlichen Malheurs noch weiter (und wie!). Die Runde beschloss einvernehmlich: das Rock Tape wird zumindest Mareks Start zu Etappe 2 ermöglichen. Mit gemischten Gefühlen und einigen Zweifeln ging es in die zweite TAR-Nacht. Schlafen können wir die ersten Nächte so gut wie nicht. Man läuft die Etappe noch einmal im Kopf ab und versucht sich vorzustellen, was denn morgen auf einen wartet. Und trotzdem sitzt man jeden Tag pünktlich beim Frühstück und scharrt mit den Füßen.
In mir rumorte es: ich konnte und wollte es nicht wahrhaben, dass der TAR 2022 für mich nach Tag 1 beendet sein würde. Ich wußte, ich würde alles versuchen, damit uns dieses Unglück erspart bleibt.
“Erst Rausch, dann Tausch” | Etappe 2 | Nassereith (A) – Imst (A) | 31 Km | 1.900 HM | Autor: Marek
Eine Stunde vor dem Start hieß es nun, bei den Mädels und Jungs von Outdoor Physio aufzuschlagen. Das Anlegen des Tapes dauerte ca. 15min und war durchaus harte Arbeit. Der Fuß wurde so fixiert, dass ein erneutes Umknicken kaum möglich war. Nur konnte man damit auch laufen? Die Etappe sollte Teile der Strecke des Tschirgant Sky Runs beinhalten und ging – Überraschung – auf den Ostgipfel des Tschirgants. Landschaftlich eine absolute Traum-Etappe mit wahnsinnigem Panorama. Einen Blick hatten wir dafür aber leider nicht.
Auf den ersten Metern nach dem Startschuss war ich skeptisch, ob das lange gutgehen kann. Beim Auftreten schmerzte der Fuß doch merklich und es war mehr eine holprige Fortbewegung, die nicht wirklich gut aussah von außen. Die 8km Einrollen aber zeigten: es ging. Ein sicheres Auftreten gestaltete sich schwierig. Aber der Fuß machte im Aufstieg durch die langsame Geschwindigkeit kaum Probleme. Ein Problem war also “gelöst”, ein anderes gesellte sich hinzu: die Sonne krachte herunter und mein Selbstbewusstsein hatte durch die ganze Fuß-Aktion doch ordentlich gelitten. Und so lief der Aufstieg auf den Tschirgant nicht gut. Und das war noch untertrieben: es lief schlecht. Ich japste und rang nach Luft, Henrik musste mich förmlich nach oben schieben. Das Tagesziel war von Anfang an: nur ankommen. Und wir konnten dem rein gar nichts hinzufügen.
Wir brauchten sehr lange, um bei Martin und dem Trailmotion Tirol Team oben anzukommen – die hatten dort den Hexenkessel aufgebaut. Doch damit nicht genug: auch der Downhill nach Imst startete schlecht: meine Zehen schlugen zu oft am Schuh an und ich bekam die leidigen Schmerzen. Hatten wir doch alles schonmal? Und ich ärgerte mich maßlos, dass ich den gleichen Fehler wieder beging: die Schlappen waren zu klein für die steileren Downhills. Also lief es auch runter viel zu langsam und die Frustration nahm immer weiter zu. Nach endloser Zeit näherten wir uns der V3, davor vermeldete uns Matthias, dass es diesmal dort “vegane Schokomilch” gäbe. Wir witzelten noch darüber, aber es stimmte und wir halfen uns einen dieser leckeren Drinks ein.
Wie sollte ich nun aber runter ins Ziel kommen? Ein paar Meter vor dem VP schlug Henrik tatsächlich vor, dass wir einfach unsere Schuhe tauschen. Und ich fand den Vorschlag richtig gut. Und siehe da: der erste Schuhtausch des TARs ereignete sich vor den Augen aller hinter dem VP. Henrik gab mir seinen Hoka Speedgoat 5 und ich vermachte ihm meine Altras. Gamechanger! Der Downhill wurde immer laufbarer und den letzten Teil konnten wir wieder etwas aufholen, obwohl wir zeitmäßig schon sehr weit zurückgefallen waren. Es ging noch ein paar Kilometer über Forstwege, das kam uns sehr gelegen. Trotzdem mußten wir in Imst unsere schlechteste Tagesplatzierung hinnehmen. Aber welche Rolle spielte das: GAR KEINE! Wir waren heilfroh, dass wir (und mein Fuß) es überhaupt dorthin geschafft hatten. Ich wurde oft gefragt, was denn genau das Problem sei: Zerrung, Dehnung, Bänderriss? Und immer antwortete ich darauf, dass ich es nicht weiß und es mir auch wirklich egal ist, solange ich damit laufen kann.
Die TAR-Reise ging weiter für uns, nur das zählte und dementsprechend erleichtert genossen wir das Finisher-Bier bei fantastischem Wetter.
“Erst verlockt, dann verzockt” | Etappe 3 | Imst (A) – Mandarfen (A) | 54 Km | 2.800 HM | Autor: Marek
Die “Königin” stand an! Schon im Vorfeld des TARs hatten wir uns auf diese Etappe eingeschossen und wollten unsere Streckenkenntnis und Erfahrung nutzen, um eine kleine Attacke zu fahren. Bereits zum vierten Mal bewältigten wir den Weg von Imst ans Ende des Pitztals nach Mandarfen (2016, 2x 2018). Viele hatten großen Respekt vor dem Brett, vor allem wegen der Länge. Aber genau das bereitete uns als Ultra-Läufer weniger Sorgen.
Und wir liefen dementsprechend optimistisch los. Henrik machte ordentlich Druck und wir arbeiteten uns vor dem ersten längeren Uphill gut nach vorne. Es lief richtig fluffig, die leichten Ups and Downs über Brennwald (V1) und Wenns gehen über (Forst)Straßen und gut laufbare Wege – das liegt uns und nach 20km lagen wir richtig gut in der Zeit. Der kurze Abstecher nach der Pitzenschlucht auf die Pitztalstraße ist wieder dabei und danach geht es im Zick-Zack 700 HM wieder rauf. Henrik hat hier erste Probleme, das Tempo zu halten und wir fallen erstmals etwas zurück. Aber bis zur V2 an der Söllbergalm ist noch alles im Rahmen.
Danach wird die Strecke schlagartig schwerer und ich weiß nicht warum, aber plötzlich zieht mir irgendetwas den Stecker. Die folgenden Kilometer sind sehr zäh und ich kann mich auf dem Weg zum höchsten Punkt auf 2.200 m auch nicht mehr erholen. Für Henrik ist das Tempo mittlerweile so langsam, dass er sich die Zeit mit Fotografieren vertreiben muss. Zudem schmeißt es mich auf einer laufbaren Passage auch noch ins Gras, aber zum Glück bleibt dies folgenlos. Es dauert nicht nur gefühlt Stunden, bis wir die V3 an der Tiefentaler Alpe erreichen (km40). Ich setze mich neben Dennis vom Trail Magazin, der ähnlich kaputt ist wie ich, und wir lassen uns von unseren Teampartnern die Verpflegung reichen. Brühe funktioniert ganz gut. Kann sich das Blatt nochmal wenden?
Nein. Mittlerweile hat mein Körper auf Überlebensmodus umgestellt und ich komme nur sehr langsam runter. Und der Downhill nach Piösmes ließ nach der V3 nicht lange auf sich warten. Ich bekomme es nicht zusammen, warum es jetzt schon ins Tal geht. Ich stolpere den Weg nur so entlang, jegliche Kraft ist aus meinen Beinen entwichen auf den vorherigen 40km. Was sind wir vor 4 Jahren hier heruntergeflogen? Und jetzt verzweifelte ich an jeder Wurzel dieses eigentlich gut laufbaren Trails. Nach schier unendlicher Zeit kamen wir dann doch im Tal an. Wir realisierten langsam, dass die verbleibenden 12km auch wirklich noch 12km waren. Die 300 HM bis ans Ende des Pitztals machten die Sache nicht attraktiver.
Und ich konnte nicht mehr zulegen. Bis zur V4 bei km48 ist es ein heftiger Kampf mit mir selbst. Henrik läuft voran und versucht, das Ganze laufbarer zu gestalten, aber meine Energie habe ich irgendwo zwischen die Almen auf den Bergen gelassen. Selten habe ich mich so zerstört gefühlt wie auf den letzten Kilometern dieser Etappe. Die eigentlich unsere werden sollte. Die wir nun mit letzter Kraft halbwegs achtbar ins Ziel bringen müssen. Bis zum letzten Kilometer muss Henrik mein Jammern und Stöhnen ertragen, dann geht es wieder ins Lauftempo über und ich war unglaublich erleichtert, das Ziel zu durchqueren. Satte 45min langsamer als 2018. Völlig fertig brauchte ich erstmal ein paar Minuten, um mich zu sammeln.
Viel riskiert, viel verloren – so kann man wohl diesen Tag beschreiben. Ich bin ziemlich geknickt über meine Performance und es dauert einige Zeit, bis Henrik mich wieder etwas aufbauen kann. Es gibt sie, diese Tage.
“Erst schieben, dann fliegen” | Etappe 4 | Mandarfen (A) – Sunna Alm (A) | Bergsprint 7 Km | 670 HM | Autor: Henrik
Um 10:49 Uhr schickte uns die Crew auf die kürzeste Etappe der Tour. Keine Pflichtausrüstung packen, ausschlafen bis 9 Uhr, es war wirklich ein Ruhetag. Nach der etwas verkorksten Königsetappe gab es für uns eigentlich kaum noch was aufzuholen und so lautete unsere Strategie, kontrolliert hochzukommen. Falls einer von uns deutlich schneller kann, dann trennen wir uns.
Ein ganzer Kilometer war zum Einlaufen da und ich schnappte ob des eigentlich lockeren Tempos schon nach Luft. Das kann ja heiter werden. Wir stiegen doch früher in den Berg ein als erwartet. Der Aufstieg auf dem Singletrail ist nicht weiter wild, die 600 HM bis zur Bergstation der Rifflsee-Bahn sind weder dramatisch steil noch technisch anspruchsvoll. Wir hingen ziemlich schnell fest hinter zwei Teams, machten aber keine Anstalten, gleich zu überholen. Eigentlich sind wir ja Spezialisten darin, die Strategie gleich über den Haufen zu werfen. Erstmal ein wenig Höhe gewinnen und dann sehen wir weiter. Das eine oder andere Team drängelte auch schon von hinten.
Fairness ist oberstes Gebot beim Bergsprint. Wer schneller ist, den lässt man gefälligst vorbei und zwar ohne, dass darum gebeten werden muss. Die Augen müssen sowohl vorn als auch hinten sein. So haben wir es auf dem gesamten TAR gehalten und so hält es die gesamte #TARFamily. Wie oft habe ich beim Überholt-werden und Überholen daran gedacht, dass diese Fairness und der Respekt im real life den Menschen abgegangen sind.
Und da liefen wir auf ein rotes RUNNING Company Shirt auf! Team Herzhopfen mit Claudi und Jola schob sich den Berg hoch und konnte vielleicht ein wenig Motivation gebrauchen? Wir haben uns sehr gefreut, die beiden zu sehen, für die es -im Gegensatz zu uns- um etwas ging, denn auf der Königsetappe hatten sie mit einer furiosen Etappe den Platz 3 in der Master Women Kategorie erobert. Wir nahmen die beiden ins Sandwich und versuchten zu motivieren, wie es eben so geht. Claudi war etwas mehr im Fokus und sprach nicht, Jola schien dagegen recht locker hochzukommen. Und sie machten es genau richtig: der langsamere Partner steigt voran. Ich hatte ein sehr gutes Gefühl bei den beiden. Kurz vor der Bergstation zog ich dann etwas an und lief die letzten Höhenmeter bis zur Bahn hoch. Jetzt kam ein herrlicher Downhill und ich wusste, dass die beiden da nicht viel langsamer als ich sein werden. Marek blieb noch bis zum Einbiegen auf die Runde um den Rifflsee bei den beiden.
Der Rest ist schnell erzählt: die Dreiviertelrunde um den Rifflsee hat 3 Km und endet mit einem fiesen Anstieg auf die Sunna Alm. Und diese 3 Km ziehen sich wie Kaugummi, wenn man denn ab der Bergstation auf Vollgas geschaltet hat. Konnte ich da wirklich noch hochlaufen? Nicht ganz. Ich sammelte auf den letzten flachen Metern nochmal die Kräfte und zog dann hoch. Es reichte sogar noch, um Sandra ein Wort ins Mikro zu brüllen. Eigentlich gehen im Laktat nur geschlossene Fragen. Marek kam nur ein Minütchen nach mir an, er hatte also auf der Seerunde den Turbo gezündet. Wir hielten uns nicht lange oben auf, zogen uns um und nahmen die Bahn runter zum Mittagessen.
Team Herzhopfen holte zwar kein Podium an diesem Tag -für die Tageswertung werden beide Zeiten addiert-, baute aber den Vorsprung auf Platz 4 ins der Gesamtwertung aus. Wir freuten uns sehr darüber, dass wir mit unseren bescheidenen Möglichkeiten ein wenig helfen konnten. Immerhin hatten wir heute unsere beste Tagesplatzierung erlaufen. Ausgerechnet beim Bergsprint.
“Erst sowas von lame, dann back in da game” | Etappe 5 | Mandarfen (A) – Obergurgl (A) | 37 Km | 2.600 HM | Autor: Henrik
Wir waren guter Dinge nach dem Bergsprint. Am Vorabend aßen wir mit unseren neuen amerikanischen Freunden Jessie und Chris Pizza im Siglu und fühlten uns einigermaßen ausgeruht. Auch der Start um 6:30 Uhr konnte uns nicht beeindrucken. Es hat schon was, am frühen Nachmittag im Ziel zu sein und sich sofort regenerieren zu können. Aber trotzdem, aufstehen um 4:00 Uhr fällt schwer. Ich hatte kein Auge zugemacht in dieser kurzen Nacht.
Wir zogen gut mit an den Berg. Heftige 1.200 Höhenmeter waren gleich zu Beginn zu bewältigen, um über das Pitztaler Jöchl das Pitztal Richtung Ötztal zu verlassen. Die ursprünglich geplante Route über den Rettenbachgletscher wurde geändert, die Strecke war wohl nicht abzusichern. Es ist ein steiler Anstieg und ziemlich kletterig und wir kamen mit Würde hoch bis zur Braunschweiger Hütte auf 2.750m. Marek kämpfte mit jedem Höhenmeter. Lag es an der Luft, lag es an schweren Beinen, lag es an der Müdigkeit, lag es an der Verpflegung, wir wussten es nicht. Mit viel gutem Zureden und Anschieben kamen wir an der Hütte an. Bis zum Pitztaler Jöchl warteten aber noch weitere 200 Höhenmeter. Aber auch die waren bald in unserem gewohnt gemächlichem Tempo geschnupft.
Auf dem Jöchl dann eine Schrecksekunde: in den Armen von Martin lag eine Läuferin in Rettungsdecken gehüllt. Martin hatte aber die Situation unter Kontrolle und schickte alle Läufer weiter. Wie wir später erfuhren und hörten, war der Rettungshubschrauber alarmiert. Der kollabierten Läuferin geht es gut. Wir mussten selbst erstmal von diesem Jöchl runterkommen, das ging nur einzeln am Seil und mit Runterrutschen. Aber die Stimmung war richtig gut. Wir fragten uns, wie der Abstieg ins Ötztal laufen würde. Es war nur am Anfang etwas technisch, nach der V1 an der Gletscherstraße wartete die Skipiste. Marek blieb zurückhaltend und stakste weiterhin etwas unbeholfen die Trails herunter, die nun eigentlich gut laufbar waren. Wir hatten uns gut versorgt an der V1, aber die Handbremse war (noch) angezogen.
Also im für uns doch sehr gemächlichen Tempo die Piste runter. Ich fragte mich, was wohl passieren müsse, damit wir Fahrt aufnehmen und Selbstbewusstsein tanken. Marek meinte, wir hätten gerade mal lächerliche 11 Km gelaufen. Nicht sehr motivierend. Wie könnte ich ihn aufbauen? Und dann kam diese Abzweigung von der Piste auf einen Trail. Ich zog einfach zackig an einem Team vorbei und beschloss, dass dieser Trail nun hochgelaufen wird. Ob Marek folgen würde? Ja, er folgte. Was auch immer in diesem Moment passiert war, ich wusste es nicht. Aber ich erklärte diesen Sprint zum Wendepunkt unserer Etappe.
Wir flogen durch das Feld. Ein Traumtrail führte stetig runter ins Tal. Ich blieb vorne und trieb uns bis zur V2 an der Gaislachalm. Ein völlig neues Gefühl, Teams zu überholen. Plötzlich ging auch der Downhill vor Zwieselstein richtig gut. “We are back in the Game!” war der Schlachtruf. Der Talboden war schnell erreicht und wir machten uns an der Aufstieg zum Höhenweg. Es wartete noch viel Arbeit. Erst Forststraße, dann Singletrail, die V3 an der Lenzenalm war zügig erreicht. Leicht ging nichts mehr, aber wir fühlten uns stark. Es waren noch über 500 Höhenmeter zu klettern bis zum höchsten Punkt. Marek schob jetzt und übernahm die Motivation. So schnell können sich die Rollen ändern.
Der Höhenweg ist spektakulär, erfordert aber nochmal viel Konzentration. Wir beschlossen, das Ding jetzt kontrolliert zu Ende zu bringen. Ein paar fiese Gegenanstiege und verblocktes Gelände machten diesen Abschnitt zu einem furiosen Finale. Beim recht technischen, aber laufbaren Abstieg nach Obergurgl von 2.500 auf 1.800m stellten wir uns richtig gut an und ließen nur noch wenige Teams passieren. Der einsetzende Regen machte die Sache noch etwas rutschiger, brachte uns aber nicht mehr aus der Ruhe. Die letzten beiden Kilometer konnten wir ausnahmsweise mal genießen. Nach 6,5h waren wir überglücklich im Ziel. Es war unsere Comeback-Etappe.
“Erst zieh-mich, dann weltmeisterlich” | Etappe 6 | Neustift im Stubaital (A) – Elferhütte – Neustift (A) | 13 Km | 1.020 HM | Autor: Henrik
Bereits vor der 5. Etappe wurde von PLAN B bekanntgegeben, dass Nummer 6 nicht gelaufen werden wird. Die Strecke von Obergurgl über Jochdohle (3.150 m!) und den Stubaier Höhenweg ist selbst erfahrenen Trailrunnern nur bei bestem Wetter zu empfehlen. Die Aussichten waren allerdings “dramatisch” (O-Ton Martin). Bei Gewitter und ergiebigem Regen schickt man niemanden auf einen Berg. Nicht mal auf den Olympiaberg.
Was PLAN B aber an diesem Tag aus dem Boden gestampft hat, fanden wir sensationell. Um 9:00 Uhr holten uns Busse in Obergurgl ab und brachten uns ins Stubaital. Der Bus fuhr sogar das gebuchte Hotel an. Uta hatte an alles gedacht. Der Plan war, um 14:00 Uhr zu einer verkürzten Etappe im Stubaital zu starten und zwar auf keiner geringeren als der Strecke der Berglauf-WM 2023. Das hieß also, 6,5 Km ab Neustift hoch bis zur Elferhütte, dann ein Loop und wieder runter bis Neustift. Eigentlich ein Bergsprint, aber bei dieser Etappe galten alle bekannten Regeln. Lediglich die Pflichtausrüstung wurde auf die Regenjacke reduziert.
Um Punkt 14:00 Uhr kam sogar die Sonne raus. Wir starteten konservativ ganz hinten im Startblock A, was ziemlich unclever war, denn wir mussten gleich am ersten Singletrail 5 Minuten anstehen. Zeit hatten wir genug eingeplant, also stiegen wir zwischen dem Ende von Startblock A und dem anrollenden Startblock B ziemlich einsam auf. Für Henrik war es schon wieder viel zu warm, die lange Hose war keine gute Idee. Erst die nur leicht ansteigende Traverse zur Bergstation der Elferbahn brachte uns dann wieder ins Rollen. Dann wartete der Endgegner: die Skipiste hoch zur Elferhütte. Eine echte Prüfung für das Laktat- und Sauerstoffhaushalt. Marek zog und schob, wie er nur konnte. 1.000 Höhenmeter waren mit Twins-Teamwork in gut 90 Minuten geschafft.
Den Verpflegungspunkt hatten wir im Laktat übersehen? Der Downhill begann mit technischen Problemen, Marek bekam die Stöcke nicht zusammen. Die Meute krachte an uns vorbei, als ginge es hier um Leben und Tod. Wir ließen uns nicht beirren. Der Downhill war ein Traum und wir kamen nach einer Weile in einen guten Flow. Und überholten Teams – ein völlig neues Gefühl für uns. Nach 2:09h flogen wir ins Ziel. Fünf Minuten mehr oder weniger, das spielte bei dieser kurzen Etappe wirklich keine Rolle. Vor allem aus unserem gelungenen Abstieg zogen wir Selbstbewusstsein. Zwei heftige Etappen warteten noch auf uns. Da konnten wir jedes Körnchen Energie gebrauchen.
Beim Pasta-Plausch am Abend ließ Martin schon durchblicken, dass auch die vorletzte Etappe unter Vorbehalt stünde. Das Wetter in den Höhenlagen blieb schlecht. Darüber konnte der sonnige Nachmittag im Tal nicht hinwegtäuschen.
“Erst rutschen, dann kutschen” | Etappe 7 | Stubaital Wilde Wasser (A) – Bremer Hütte (A) | 12,5 Km | 1.500 HM | Autor: Henrik
Und so begann schon der vorletzte Ritt nicht dort, wo er beginnen sollte. Vier Kilometer im Tal wurden gestrichen, so dass wir auf Höhe des “Wilden Wassers” starteten. Um 6:30 Uhr spuckten die Shuttlebusse müde Trailrunner*innen aus, die im Dauerregen unter den Pavillons kauerten und bibberten. Martin wurde live(!) von der Bremer Hütte zugeschaltet für das Pre-Start Briefing. Und er klang alles andere als optimistisch. Zu diesem Zeitpunkt war die Entscheidung bereits gefallen, dass die Etappe heute nur bis zur Bremer Hütte auf 2.400 m geführt werden würde.
Wir kamen gut rein in den langen Aufstieg, der zwar nass, aber noch nicht zu anspruchsvoll war. Für unsere Verhältnisse waren wir sehr, sehr gut dabei und kletterten im vorderen Mittelfeld. Je höher wir kamen, desto nebliger wurde es und die seilversicherten Passagen nahmen zu. Es ist anspruchsvolles Gelände, selbst im Trockenen. An wenigen Engstellen mussten wir etwas anstehen, aber immer ging es fair und respektvoll zu. Jeder half jedem. Sogar eine La Ola-Welle passierten wir hinter der Nürnberger Hütte. Die war erst im allerletzten Moment zu erkennen, so neblig war es hier schon. Wir hatten unsere Regenjacken die ganze Zeit an, nur die Kapuze kam mal rauf, mal runter. Ich hatte jetzt kein schlechtes Gefühl beim Aufstieg. Wenn der Regen nicht stärker werden würde, vielleicht könnte die Etappe ja wirklich bis nach Gossensass gelaufen werden? Der Weg war noch weit.
Auf den letzten 400 Höhenmetern bis zum Gipfel am Simmingjöchl schwächeren wir etwas. was auch daran lag, dass die Steine immer größer wurden und man höllisch aufpassen musste, nicht wegzurutschen. 2.760m hoch lag der höchste Punkt dieser alpinen Etappe. Marek überschritt das Jöchl als erster von uns und ich hörte Martin von weitem etwas von “Rennabbruch” sagen. Da stand der Rennleiter nun einsam im strömendem Regen auf dem Jöchl und musste jedem einzelnen Läufer mitteilen, dass das Rennen nur noch bis zur Bremer Hütte geführt werden würde und dort an der V2 beendet sein wird. Als ich in den Abstieg schaute und mir die Bestätigung von Marek eingeholt hatte, war ich da nicht böse drum. Die 300 Höhenmeter runter waren kräftezehrend genug.
Auch hier überholten uns noch diverse Teams, was wir nicht so ganz verstanden. Wir kamen etwa 45 Minuten nach dem Gipfel auf der Bremer Hütte an und stürzten uns auf die Verpflegung. Es war nicht nur nass, sondern auch richtig kalt. Ich hatte bereits morgens in weiser Voraussicht mein langes Shirt untergezogen, Marek holte das jetzt in der Hütte nach. Auch Handschuhe und Mütze legten wir nun an. Etwas zu lange hielten wir uns auf, so dass wir schnell auskühlten. Auch wenn das Rennen abgebrochen war – wir mussten ja noch ins Tal!
Und so schob sich die Trailrunner-Meute langsam runter. Warum dieser Abstieg im Rennmodus keine gute Idee war, konnten wir nun feststellen. Es war brutal rutschig auf dem verblockten Weg. Selbst im Schritttempo legten wir uns immer wieder hin. Später kam auch noch Matsch dazu. Selbst Allrad hätte hier wohl kaum geholfen. Gute zwei Stunden brauchten wir für die 8 Km und etwa 1.000 negativen Höhenmeter ins Gschnitztal. Auf der Talstraße angekommen wirkte das alles gar nicht mehr so “wild”. Aber die einhellige Meinung aller Teilnehmer war: dieser Rennabbruch war richtig und notwendig. Die Unfallklinik in Innsbruck hätte einen sehr geschäftigen Abend erlebt. Und der zweite Aufstieg auf den Pflerscher Höhenweg stand ja noch bevor. Nein, dieses Himmelfahrtskommando brauchte niemand.
Im Tal staunten wir nicht schlecht: das gesamte Finisher-Dorf war bereits von Gossensass nach Gschnitz verlegt worden. Wir bekamen sofort zu essen, konnten unsere Dropbags abholen und uns im Wärmezelt umziehen. Uta wedelte durch das Gelände und wollte am liebsten jedem “Finisher” selbst die Brühe reichen. Das war eine logistische Meisterleistung und zeigt, wozu diese phänomenale Crew fähig ist. So hatten wir am Nachmittag noch Zeit, in den Pool des Hotels zu springen und die Wäsche zu waschen. Denn das große Finale wartete noch auf uns.
“Erst rennen, dann flennen” | Etappe 8 | Gossensass (I) – Vals/Gitschberg (I) | 34 Km | 2.700 HM | Autor: Henrik
Eine Etappe ohne Änderungen – Martin konnte es beim Briefing am Vorabend selbst nicht glauben. Dieser TAR verlangte dem Team und den Teilnehmern einiges ab. Das Wetter sollte bis zum Nachmittag stabil bleiben. Der “späte” Start um 8:00 Uhr in Gossensass ließ uns regelrecht ausschlafen. Ein letztes Mal ließ Marek seinen Knöchel tapen. Ohne diesen Support der Outdoor-Physio Crew um Andi und Markus hätten wir in Nassereith einpacken können. Danke an euch! Ein letztes Mal Checkin mit Ausrüstungskontrolle. Ein letztes Mal erklingt der “Highway to Hell” und die Meute bricht los. Ich hatte schon beim Start Tränen in den Augen. Inzwischen hatte sich so eine Routine eingestellt. Dropbag packen, Flaschen auffüllen, Gels beschriften, Outfit abstimmen. In sechs bis sieben Stunden wird es dann schlagartig vorbei sein.
Aber unterschätzen sollten wir die letzte Etappe nicht: satte 2.700 HM hielt die Überschreitung nach Vals im Jochtal bereit. Schon der erste Aufstieg durch den Daxlwald war steil und lang. Wir hielten uns gut und schwammen im vorderen Mittelfeld mit. Aufzuholen gab es für uns nichts mehr, zu verlieren gab es aber heute viel. Der zweite Aufstieg durch das Pfitschertal war etwas flacher und kam uns mehr entgegen. Es war angenehm bewölkt und die Stimmung bestens. Wir hatten 7h für die Etappe angepeilt. Da aber der Downhill nach Kemnaten zur V2 so herrlich Waldautobahn-like war, lagen wir deutlich vor unserem Plan.
Marek freute sich über “endlich laufbare Downhills” und wir überholten das eine oder andere Team. Ich war mir nun sicher, das Ding läuft heute wie ein Länderspiel – bis ins Ziel. Hinter der V2 folgte dann der finale Anstieg des TARs. Marek kämpfte mit jedem Meter der Forststraße. Die war unendlich lang, schließlich waren noch gute 1.000 HM zu bewältigen. Geschenkt gab es auch heute nichts. Die letzten 200 Höhenmeter lassen es nochmal krachen. Sehr steil geht es die Wand hoch zum Sandjoch auf 2.640 m. Wir quälten uns beide hoch. Ein “Klosters” konnten wir in diesem Jahr abwenden. Martin stand auch bei dieser letzten Etappe auf dem höchsten Punkt und gratulierte jedem. Er wird auch froh gewesen sein, dass die Woche vorbei ging.
11 Kilometer über Almen durch die Ochsensprung-Schlucht, das war ein Finale nach unserem Geschmack. Riskieren wollten wir nichts mehr und so blieb es beim Runterrollen. Die letzte Verpflegung wartet traditionell 5 Km vor dem Ende des Transalpine-Runs. Jeder, der hier durchläuft, hat es fast geschafft. Zum letzten Mal eine Cola in den Trinkbecher. Wir konnten Vals bereits sehen.
Mir ging viel durch den Kopf auf den letzten Kilometern. Es war die erwartet intensive Woche mit viel Drama und Kampf. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Wir haben zusammengestanden und uns gemeinsam Schritt für Schritt dem Ziel entgegengeschoben. Von Garmisch nach Nassereith habe ich geschwächelt und Marek hat uns durchgezogen. Nach dem Malheur am Ende des ersten Tages habe ich das Kommando übernommen. Aber das heißt nicht, dass es keine schwachen Phasen mehr gab. Immer wieder haben wir die Rollen getauscht. Da war dieses Gefühl, sich 100%-ig auf den anderen verlassen zu können. Und genau mit diesem Gefühl liefen wir in in die Tennishalle in Vals ein. Als ein untrennbares Team von zwei Brüdern, die den Ritt über die Alpen zum vierten Mal geschafft haben.
Sportlich betrachtet war dieser TAR weit unter unserem Anspruch. Platz 18 der Master Men Kategorie und Platz 82 insgesamt, das ist auf dem Papier kein Ruhmesblatt. Man sagt ja immer, Zahlen lügen nicht. Aber sie erzählen einfach nicht die ganze Geschichte.
von Marek | 24.08.22 | Kurioses, Laufen, Strecken, Ultra, Wettkampfbericht
Guter Dinge beim Abholen der Startnummer!
Es wurde wieder der erwartet lange Tag auf dem Berliner Mauerweg. Die Hoffnung, dass wir beide das so ersehnte Ziel nach 161,9km erreichen, zerschlug sich leider gegen 03:15 in der tropischen Sommernacht. Während sich Britta und Marek im Erika-Hess-Stadion in Berlin-Wedding das Finisher-Bier (+Suppe) einhalfen, strandete Henrik beim drittvorletzten Verpflegungspunkt (VP) am Dammweg in Berlin-Treptow. Und das nach bereits absolvierten 145km. Lächerliche 16km wären es noch bis zu uns gewesen, aber Kopf und Körper hatten in dem Moment die Entscheidungshoheit und Henrik gab seinen Chip unter Protest des gesamten VPs ab. Zu dem Zeitpunkt mussten wir uns einen großen taktischen Fehler eingestehen. Ab VP Rudow (km133) war Henrik alleine ohne Radbegleitung unterwegs. Sein treuer Mitfahrer, der Andi, hatte von 03:00 bis 06:00 “Dienst” am VP Checkpoint Charlie und musste ihn daher verlassen. Wer schon einmal nachts in völliger Dunkelheit alleine gelaufen ist, der mag evtl. nachvollziehen können, wie schwer es ist, den Kopf nach so langer Zeit noch zum Weitermachen zu überreden. Das DNF war Fakt. Was war aber alles in den fast 24h vorher passiert?
Wir sind mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen nach Berlin gekommen. Während es bei mir in der Vorbereitung ganz ordentlich lief und ich einige (wenn auch nicht genug, wie immer) Kilometer auf längeren Trainingsläufen abspulen konnte, hatte Henrik 4 Wochen vorher tatsächlich noch Corona ereilt und er konnte bis auf einen Alpen-Ausflug zur 1. Etappe des TARs keinen einzigen langen Lauf verbuchen. Mit ein wenig mehr Vernunft wäre ein Verzicht auf die 100 Meilen wohl die bessere Entscheidung gewesen. Aber Vernunft ist nun nicht die Eigenschaft, die bei uns (beiden) besonders stark ausgeprägt ist. Auch 2019 stand ich mit einer nicht vorhandenen Vorbereitung am Start. Und so machten wir natürlich am 13.08.2022 um 05:55 vor dem Startbogen im Erika-Hess-Eisstadion ein Selfie und waren in freudiger Erwartung eines langen und heißen, aber hoffentlich schönen Lauftages mit einem versöhnlichen Ende.
Die Taktik war sonnenklar. Nach unserem viel zu schnellen Start 2018 ging es diesmal gemächlich los und wir wollten die 06:00min/km möglichst lange durchziehen. Schnell ist der Mauerpark und die Bornholmer Brücke passiert und es geht an der S-Bahn langsam aus der Stadt heraus. Die spätere Siegerin Sarah Mangler passiert uns bei km15 und auch so einige andere, aber es klappt ziemlich gut mit dem Tempo und wir grooven uns gut ein. Die erste wichtige Marke war der Wechselpunkt in Hennigsdorf beim Ruderclub nach ca. 36km. Man könnte erwarten, dass man bei einem Laufziel von 100 Meilen diesen Punkt ziemlich locker und problemlos erreichen sollte. Im Grunde stimmt dies auch. Aber auch dieser fast-Marathon muss erstmal gelaufen werden. Nach 30km konstatiert Henrik, dass es doch heute muskulär eine verdammt harte Nummer werden würde. Er sollte richtig liegen. Jeder wollte sein Tempo laufen und ein Zusammenbleiben wollten wir nicht forcieren, wir hatten ja unsere Radbegleitungen, die später dazukommen würden. Und so machte ich mich ca. 3km vor dem Ruderclub auf den Weg und lief einen kleinen Vorsprung heraus.
am Ruderclub
Ich klatschte mit Dario auf der Brücke ab, der den zweiten Teil der ASV 4-er Staffel bis nach Sacrow laufen wollte und machte mich auf den etwas umständlichen Weg zu den Toiletten. Henrik lief mittlerweile ein und ging auch als erster wieder auf die Strecke. Ganz so schnell wie Jan Fitschen in Berlin 2013 war ich nicht und so dauerte es ein paar Kilometer, bis Henrik wieder in Sichtweite kam. Er war schon etwas mitgenommen, aber was hatte das schon zu bedeuten? Vor der Brücke in Hennigsdorf machte ich mich wieder alleine auf den Weg. Ich passierte auch Andreas, der bereits die ersten Gehpausen einlegen musste. Leider sollte es auch für ihn am Ende nicht reichen.
Britta ist am Start!
Mit dem Wetter hatten wir wirklich Glück: es war zwar warm und drückend, aber die Sonne kam aufgrund der Bewölkung kaum durch. Wenn es anders gekommen wäre, ich weiß nicht, ob ich das lange durchgehalten hätte. Aber so ging es ganz smooth durch den Eiskeller in Schönwalde, mehrfach passieren Rennchef Harald und der Doc die Läufer. Aber hier ist noch alles im grünen Bereich. Und das, obwohl die Strecke einige Ups und Downs bereithält. In der Analyse ist der zweite Abschnitt bis Sacrow (km 73) mit Abstand der Schwierigste. Rebecca läuft mehrfach auf und überholt mich, aber zu dem Zeitpunkt kann ich noch halbwegs folgen und erblicke bei km50 den Gerald, der mich dann bis zum VP10 in Falkensee begleitet. Auch das hilft ungemein und verkürzt die Zeit etwas. Und dann erblicken wir auch schon unsere Radbegleiter, ich freue mich, Britta zu sehen und auch Jan (der später die 90km der 2er Staffel rennt) und Begleiter Mike stehen da und wir klatschen uns ab. Auch Andi, Henriks Radbegleiter, wartet schon auf seinen Einsatz.
da gehts lang
Wir kommen ziemlich gut ins Rollen, auch wenn die Strecke einige Tücken bereithält. Einige steilere Anstiege muss ich bereits gehen. Das nächste Ziel heißt Sacrow! Ungläubig vernehme ich von Britta die Info, dass die 2er Staffel von Conny+Jan an erster Position liegt. Und es sollte nicht die letzte Überraschung dieses Tages bleiben. Viele Staffeln überholen uns bis Sacrow nicht, auch das finde ich überraschend und ist ein kleines Indiz, dass ich nicht so schlecht unterwegs sein muss! Und ich erinnere mich noch gut, wie ich 2019 schon ziemlich k.o. war, als wir die steile Waldpassage vor der Straße nach Sacrow hochziehen.
Henrik kämpft
Die Straße selbst ist eng und sehr verkehrsreich, aber ich kann noch ganz gut laufen und dementsprechend flüssig erreichen wir den zweiten Wechselpunkt. Hier wartet die halbe ASV-Crew. Unsere 10er Staffel kommt nämlich schnellen Schrittes näher und Sandra, Detlef, Thomas erwarten ihren Einsatz. Auch Jan macht sich für sein 90km Abenteuer bereit. Lange halten wir uns nach dem Shake-Hands aber nicht auf und machen uns auf den langen Waldweg in Richtung Krampnitz. Henrik kommt exakt eine Stunde später in Sacrow an.
“In Sacrow ist Schluß!” das war der Leitspruch 2018
Britta hat alles voll im Griff, auch gibt sie mir immer durch, wenn Henrik oder unsere Staffeln einen weiteren VP passiert haben. Der Waldweg bis nach Krampnitz zieht sich elendig. Dann kommt endlich die Straße, die aber auch einige Anstiege bereithält. Auf einem dieser fährt Detlef vorbei, nicht ohne mich zu motivieren. Es war ein überwältigendes Gefühl, dass alle so mitgefiebert haben. Diese mentale Unterstützung ist so immens wichtig. Dann geht es in Richtung Glienicker Brücke, eindeutig der schönste Part des ganzen Rennens. Der VP Brauhaus Meierei ist schon km85,5. Längst ist der Ultra-Modus aktiviert. Die Schritte werden kürzer und die Gehpausen nehmen zu. Dann fliegt Sandra heran. Es sieht so leicht aus, wie sie läuft und man wünscht sich einfach zwei neue Beine, um in ähnlicher Weise rennen zu können:
Ich freue mich, dass es für die Staffel so gut läuft. Dann laufen wir auf die Glienicker Brücke zu. Ich teste Brittas Allgemeinwissen und frage sie, welche historische Brücke das denn sei. Natürlich hatte sie die richtige Antwort parat (ich glaube aber, sie hat es gegoogelt :-)). Es geht erst unten durch und dann natürlich über das Wasser. Es gibt schlimmere Orte für einen Lauf. Kurz dahinter verlaufen wir uns das erste und einzige Mal. Wir nehmen einen Weg zu früh in den Park zum Jagdschloss und merken das Malheur erst 500m später. Also wieder zurück. Im Nachhinein war das ein wenig der Wendepunkt in meiner Verfassung: ich quäle mich dann den Anstieg im Park Babelsberg hoch und habe das dringende Verlangen nach kalten Getränken. Nur die gab es nicht an den VPs. Ich konnte keine warme Cola oder, noch schlimmer, warmes Wasser, mehr zu mir nehmen. Vor dem VP Griebnitzsee versucht Britta, noch etwas zu organisieren, leider erfolglos. Denn mir schwante bereits die 5km-Passage des Königswegs vor. Gefühlt der Endgegner des heutigen Tages. Habe ich mir das nur eingebildet oder ging es Richtung Osten da nur hoch? Es wird immer schwerer, ich kann keinen Höhenmeter mehr laufen. Der Kampf ums Finish, er hatte längst eingesetzt. Und es wurde immer wärmer, weil auch die Sonne mehr durchkam. Eine bittere Passage war das, auch wenn mir bewusst war, dass es mir 2019 dort nochmal schlechter ging. Irgendwie muss man sich ja motivieren!?
das Lachen ist schon gequält
Der VP Königsweg nach 99km ist eine kleine Erlösung. Aber auch hier gibt es nichts Kaltes. Ich verzweifele langsam ob dieser Tatsache. Der nächste psychologisch wichtige Punkt ist der Wechselpunkt in Teltow bei km105. Plötzlich stehen Andreas und Kay vor uns, vielleicht nicht der schlechteste Zeitpunkt ob meiner schlechten Phase. Mir wird immer wärmer und die Eiswürfel von Kay sind der erste Lebensretter. Andreas besorgt mir noch kaltes Mineralwasser und Cola und auch das hebt meine Stimmung wieder. Wieder überhole ich Rebecca, die wenig optimistisch klingt. Nach 11:43 ist schließlich Teltow erreicht. Für die gut 6km brauche ich über eine Stunde.
diese Paparazzi!
In der Halle halte ich es nicht lange aus. Draußen wird mir alles kredenzt, was das Herz begehrt. Aber ich bekomme wie immer nichts herunter. Nach 20min mache ich mich unter Applaus der Zuschauer wieder auf die Strecke. Kay beschreibt mir den folgenden Abschnitt und will mich etwas aufheitern. Aber ich komme nicht mehr richtig ins Rennen und merke auch, dass mein Magen langsam rebelliert. Vom VP Osdorfer Straße (km 111,9) bis zu Ninas Eltern (km118) benötige ich satte 83min. Dreimal entleere ich meinen (nicht großen) Mageninhalt und kann nur sehr kurz laufen. Noch 50km Wandern – es will nicht in meinen Kopf, wie das gehen soll. Britta redet mir gut zu, dass ich schon mehrfach in dieser Situation war und auch da immer wieder rausgekommen bin. Und sie hat so recht. Es geht irgendwie weiter. Langsam, aber es geht weiter. Anni wartet mir ihrer Familie bei km120 auf uns. Auch einer dieser Punkte, die mich an diesem Tag am Leben gehalten haben.
KALTE Getränke, Haferbrei, es ist alles da und ich kann sogar etwas essen. Wir sacken alles ein und bitten Anni, auch auf Henrik zu warten. Leider hat es später nicht geklappt mit dem Treffen. Aber von nun an geht es wieder etwas besser voran. In Buckow treffen wir noch bekannte Gesichter, sonst ist der Weg da unten sehr ereignislos und langweilig. Ich bin froh, als es auf dem Weg nach Rudow (km133) dunkel wird und die Sonne untergeht. In Rudow verabschiedet sich Andreas und wir sind ab da alleine unterwegs. Ich bekomme noch eine Dusche über den Kopf, es ist immer noch so verdammt warm, das Thermometer fällt nicht unter die 25°C Marke. Dann kommt die dunkle Passage an der Ostkrone. Und plötzlich fängt es an zu regnen. Der Regen kondensiert sofort auf dem Boden, so warm ist es noch. Aber ich danke im Stillen demjenigen im Himmel, der diesen Schauer ermöglicht hat. Es war eine Wohltat.
Aber es wird nicht mehr “schneller” an diesem Tag. Ich rechne durch, dass ich noch einen 6er Schnitt für die 30km laufen müsste, um die 20h zu knacken. Ich hake das schnell ab. Die Zeit, irgendwann wird sie einfach nebensächlich. Wir kämpfen uns durch bis zur Jacobs Fabrik und dem Kaffeeduft, bevor wir auf die nächste dunkle Passage zum Dammweg gehen. Hier gibt es soviele Sitzmöglichkeiten! Dort holt jemand noch kaltes Wasser aus der Kühltasche. Ein Wahnsinns-Job, den alle Helfer an den VPs gemacht haben. Ich wurde immer ganz herzlich und entspannt angesprochen, sobald ich mich hingesetzt habe und es wurde gefragt, wie es mir geht und was ich brauche. Da geht einem wirklich das Herz auf und jeder Klopfer auf die Schultern, jede kleine Motivation hilft ungemein weiter, gerade in schweren Momenten. Alleine deswegen liebe ich diesen Lauf. Man kann soviele Momente teilen und alle Beteiligten sind mit dem Herzen dabei.
Bis zum VP an der East Side Gallery kämpfen wir uns erst durch die dunkle Passage am Kanal (“für welchen Lauf trainiert ihr denn da?”) und dann durch die Feiernden rund um die Oberbaumbrücke. Britta ist ziemlich genervt davon, aber von da sind es wirklich nur noch 10km! Und noch immer zweifele ich, ob es denn reichen wird. Das klingt skurril, aber auch diese Strecke muss man in dem jämmerlichen Zustand noch bewältigen. Ich versuche immer wieder anzulaufen, es geht nicht mehr richtig oder wenn dann nur über 50m. An einem Späti kaufen wir noch eine Cola und pausieren wieder. Es geht Richtung City und ich kenne von da jeden Winkel, da ich in der Ecke ja auch arbeite und oft genug die Straßen abgelaufen bin.
Eine Minute Pause gönne ich mir noch am letzten VP am Checkpoint Charlie. Auch hier kommt der VP-Chef auf mich zu und redet mit mir. Das tut gut und ab hier bin ich mir auch sicher, dass wir das Ziel erreichen werden. 5,5km – dafür benötige ich sonst 25min im Training. Heute werden es fast 50min. Wir laufen erstmals durchs Brandenburger Tor, eine schöne Sache, es ist angenehm leer und gut beleuchtet.
Dahinter suchen wir den Weg, müssen sogar nochmal auf den Plan schauen, um uns nicht zu verlaufen. Aber auch das gehört zu diesem Lauf irgendwie dazu. 2km vor dem Ziel schicke ich Britta voraus, damit sie in Ruhe ihr Fahrrad abstellen kann. Es gibt noch eine kleine Routenänderung, weil der Friedhof nicht durchlaufen werden kann. Leider fehlen dort die Markierungen. Links, rechts, ich überhole noch eine Staffel und dann geht es auf die Straße, wo ich 21h vorher das Auto geparkt habe. Die Helfer weisen den Weg zum Stadion und dann geht es auch schon auf die letzte Runde. Britta erwartet mich bereits und auch die Atmosphäre mit den Zuschauern in der Mitte des Stadions ist spitze. Laufen kann man die Runde, als wenn vorher nichts gewesen wäre. Die Uhr stoppe ich nach 20h und 52 Minuten.
Wir müssen dann relativ schnell das Feld verlassen, weil unsere Kids uns keine 3h später aus dem Schlaf holen würden. Vorher überlegen wir fieberhaft, wie wir Henrik noch helfen könnten. Leider fällt uns keine Möglichkeit ein. Und so kommt es dann, wie es kommen musste: nach 145km und mehr als 22h beendet er den 10. Mauerweglauf.
Die Siegerehrung am Sonntag ist wieder sehr emotional. Der 10-fache Finisher Kay Giese gibt seine Gedanken wieder und alle bekommen ihre verdienten Medaillen (+ Gürtelschnalle für die sub24h). Leider kann nur ein Twin die Medaillen mit nach Hause nehmen.
Was nehmen wir mit? Es war ein durchaus solider Auftritt. 100 Meilen zu finishen ist niemals eine Selbstverständlichkeit. Klar hätte ich mir gewünscht, dass es noch 1-2h weniger auf der Uhr werden, aber wenn man ehrlich ist: was spielt es am Ende für eine Rolle? Dafür muss dann eben alles passen und das kommt bei einem solchen Ultra so gut wie nie vor. Henrik war mit dem DNF schnell im Reinen, die Vorbereitung und die Corona-Infektion waren einfach für ein Finish nicht ausreichend. Ich bin trotzdem stolz auf uns. Es gehört auch ein ordentliche Portion Mut dazu, überhaupt erst diese Strecke zu bewältigen. Und wir schauen positiv und motiviert nach vorn: am 03.09. warten 285km und 17.000 Höhenmeter in den Alpen auf uns. Und diese werden wir in jedem Fall gemeinsam absolvieren. Drückt uns die Daumen, dass die Beine bis dahin wieder frisch sind!
Ein Riesen Dankeschön geht an unsere Unterstützer an diesem Tag: Britta für die beste Begleitung, die ich mir vorstellen kann. Aber auch Andreas (2x), Kay, Gerald, die ganze Crew des ASV, es war überwältigend, soviel Support zu erfahren. Ohne euch wären wir nichtmal bis Sacrow gekommen.
von Marek | 23.07.22 | Kurioses, Laufen, Strecken, Trailrunning, Ultra
Die Vorbereitung auf den Mauerweglauf am 13.8. ist in vollem Gange. Ich werde bereits zum dritten Mal auf die 100 Meilen-Runde um das ehemalige West-Berlin gehen, Henrik wird es zum zweiten Mal probieren. Dafür braucht es im Vorfeld einige Kilometer im Training. Für die Generalprobe hatte ich noch eine Rechnung mit dem Paul-Gerhardt-Weg im Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg offen. Der Wanderweg führt von der Berliner Nikolaikirche nach Lübben in den Spreewald und ist satte 140km lang. Er ist dem Kirchendichter Paul Gerhardt gewidmet, der im 17. Jahrhundert in Berlin, Mittenwalde und letztlich in Lübben gewirkt hat. So gibt mehrere Paul-Gerhardt-Kirchen zu bestaunen. 9 Etappen gilt es zu bewältigen, wenn man es gemütlich angehen möchte. Mein Ziel war aber klar definiert: vom Startpunkt in Lübben wollte ich die 100km bis nach Zeuthen laufen. Im letzten Jahr hatte ich zu Corona-Zeiten im April bereits einen Versuch unternommen, musste aber in Groß Köris (km55) abbrechen. Ich war schlecht vorbereitet und auch die Kälte zog mir damals den Stecker.
Was man alles so braucht auf 100km….
Die Woche zuvor wurden für den Sonntag Temperaturen von 38°C vorausgesagt, so dass ich einen Start in der Nacht für sinnvoll hielt. Da der Regio von Königs Wusterhausen nach Lübben auch nachts in gut 30min durchfährt, stand der Uhrzeit (02:00) nichts mehr im Wege. Und auch der Support war diesmal um Welten besser organisiert: ich hatte schon einige Zeit im Vorfeld mit Anni (aktuelle 24h Deutsche Meisterin, Weltrekordhalterin über 100km auf dem Laufband) über mein Vorhaben gesprochen und sie hatte sich vorgenommen, den langen Lauf in ihre EM-Vorbereitung aufzunehmen und mich zu unterstützen. Konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder?
Ich machte mich gegen 00:30 von zuhause los, um die knapp 7km zum Bahnhof in Königs Wusterhausen zu laufen (auf den Schienenersatzverkehr wollte ich mich nicht verlassen). Es war richtig frisch geworden, die 14°C fühlten sich nach den heißen Tagen irgendwie verkehrt an. Aber natürlich spielten uns diese Temperaturen in die Karten. Anni lies sich nach Groß Köris bringen und stellte dort ihr Fahrrad samt Gepäck ab. Bis hierhin wollte sie mich laufend begleiten und dann weiter radelnd mit nach Zeuthen kommen. Ganz sicher war ich mir nicht, ob das Projekt nicht wieder scheitern würde, aber wir waren guter Dinge, als wir um kurz vor 2Uhr vom Bahnhof in Lübben den Start an der Paul-Gerhardt-Kirche anvisierten. Im Gegensatz zum letzten Mal fanden wir diese auch und liefen in ruhigem Tempo aus Lübben heraus. Die ersten 25km hatte ich noch als recht langweilig in Erinnerung, insofern passte die Dunkelheit ganz gut. Es geht vorbei an einigen Teichen und auch sonst ist der Weg gut laufbar und führt über einige befestigte Wege.
Nach 16km ist Schlepzig erreicht. Hier sehen wir die ersten beiden Menschen, die in der Nacht vor ihrem Haus ungläubig auf die beiden Läufer starren, die da flotten Schrittes vorbeiflitzen. Immerhin erinnere ich mich gut an die Stellen, wo ich mich 2021 verlaufen hatte und so bleiben wir meist direkt auf dem Weg. Die Beschilderung ist sehr gut, es gibt meistens Markierungen an Bäumen und Laternen und manchmal auch schöne breite Schilder, die den Weg weisen. Es geht einige Kilometer auf dem Deich vorbei an Neu-Lübbenau, hier bricht der Tag an und es wird hell. Der Weg wird hier schon ein wenig beschwerlicher und Anni macht sogar einmal Bekanntschaft mit dem Waldboden. Die Tankstelle bei km21 lassen wir liegen, bis nach Groß Köris sollten die Vorräte reichen. Die Prognose war zumindest für mich etwas zu optimistisch, da ich nur 2×0,5l Wasser dabei hatte. Über die Schleuse in Leipsch geht es weiter in Richtung Köthen. 30km sind hier absolviert und wir sind beide noch guter Dinge.
An dieser Stelle ist ein Selfie Pflicht!
Ich hatte den nun folgenden Teil noch in guter Erinnerung. Diese Strecke bin ich mit Janos bei unserem virtuellen Rennsteig auch gelaufen. Es geht an einigen Seen vorbei und der Weg hat nun durchaus Trail-Charakter. Mit dem Fahrrad wäre ab hier kein Durchkommen mehr. Der Weg in Richtung Dahme ist nun sehr sandig, wir ahnen zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass uns der Sand weiter begleiten wird. Der Weg an der Dahme wird dann aber besser und bis Märkisch-Buchholz geht es dann über Asphalt zur Sache. Hier ist der Marathon durch und auch meine Flaschen mittlerweile leer. Anni hilft mir mit ihrem Tee aus, aber ich ärgere mich trotzdem. Dass es an einer Kreuzung grundsätzlich den schlechteren Weg weiter geht, wird langsam zum Running Gag. Kein Radweg wird benutzt, aber wir befinden uns ja auch auf einem Wanderweg! Trotzdem wird der Sand langsam zur Geduldsprobe, es kostet immer jede Menge Kraft, da durchzukommen und es macht zudem auch keinen Spaß.
Läuft doch oder?
An der Revierförsterei Hammer queren wir die Bundesstraße und setzen Kurs auf Groß Köris. Es zieht sich ordentlich und auch die Sonne kommt stellenweise heraus und brennt herunter. Ich ziehe meine Ärmlinge aus und muss ganz schön kämpfen, um den schwierigen Weg am Campingplatz zu bewältigen. Endlich kommen wir aus dem Wald heraus und feiern den Radweg an der Straße. Der Rest bis zur ersehnten Tankstelle läuft sich wieder flott. Anni holt ihr Bike und ich helfe mir 1l Cola ein, das war nötig. Die Flaschen werden aufgefüllt und weiter geht es nach Norden. Vor zwei Wochen bin ich bereits hierher gelaufen, aber der direkte Weg an der Bahn ist nur 23km lang. Wir hatten noch 45km auf dem Plan! Die langen Klamotten von Anni zahlen sich nun aus, obwohl es durchaus etwas mehr hätte sein können.
Und wieder verlassen wir schnell den schönen Hofjagdweg und kämpfen uns durch das staubige Gelände. Anni macht eine kurze Pause und ich laufe vor, verpasse dann aber eine Abzweigung und irre ohne Orientierung durch den Wald. Der GPS-Track stimmt hier hinten und vorne nicht und auch die Beschilderung lässt zu wünschen übrig. Einige Zick-Zacks später komme ich aber wieder auf den Weg. Nur wo war Anni? Vermutlich hatte sie mich zwischenzeitlich überholt und ich ziehe in sehr langsamen Tempo weiter. Der Weg ist hier ein einziger Sandhaufen und macht ein schnelles Vorwärtskommen unmöglich. In der Sonne laufe ich nun die langsamsten Splits des ganzen Tages. Zweimal rufe ich Anni an, wo sie denn abgeblieben sei und wir stellen fest, dass sie doch noch hinter mir war. Der Sand erklärt es aber. Hier hat der Fahrradfahrer einfach keine Chance.
Im läuferischen Niemandsland
Bei km63 queren wir zunächst die Bahn und dann die A13. Bis Motzen geht es über eine Panzerstraße unentwegt hoch. Auch das ist keineswegs einfach zu laufen. Ich blicke mich mehrmals um, aber von Anni ist nichts zu sehen. Dann geht es nach Motzen rein und ich informiere eine Dame mit ihrem Hund, dass sie der Mountainbikerin Bescheid geben soll, dass ich bereits durch bin. Geklappt hat es aber nicht, wie sich später herausstellte. Es geht natürlich an einer Kirche vorbei und die Strecke vorbei am See ist mir wohlbekannt von meinem ersten und einzigen olympischen Triathlon. Als es dann am Ortsausgang wieder in den Wald geht, kommt tatsächlich Anni in Sicht und schließt zu mir auf. Wir klatschen uns ab und mir ist völlig klar, warum sie soviel Zeit brauchte, um aufzuschließen. “Ich hatte einen um 20 Schläge höheren Puls als beim Laufen”.
Der nun folgende Abschnitt nach Mittenwalde sollte einer der Schönsten sein (wo hatte Anni bloß diese Info her?). Das genaue Gegenteil ist der Fall. Es geht einige Kilometer an der Autobahn vorbei und dann durch den Galluner Forst bis km70. Und auch hier macht uns der Sand zu schaffen. Der Wind kommt beständig aus Nordwest und macht das Unternehmen nicht einfacher. Die 5km bis Mittenwalde laufen sich aber besser weg an der Straße. Ab hier kenne ich jeden Meter der Strecke. Ausgenommen der Schlenker für die Kirche…aber das muss halt sein. Vor Ragow pausieren wir noch einmal kurz und füllen die letzten Cola-Vorräte um. Und es läuft noch immer. Ab km80 wird es dann nochmal hart. Über die Rieselfelder geht es immer gegen den Wind voran, ehe wir endlich nach Westen abbiegen können und die A13 kreuzen. Von hier sind es nur 4km nach Hause. Aber heute ist der Kopf stärker und ich will unbedingt die 100km packen. Kurz vor Königs Wusterhausen kaufen wir nochmal Cola für die letzen Kilometer. Ich frage Anni, ob wir es denn schaffen werden. “Ja, du schaffst das heute!”. Irgendwie kommen einem immer Zweifel, auch wenn der Weg plötzlich so kurz erscheint. Aber was sollte schon noch passieren? Henrik klingelt bei km90 durch und ich wimmele ihn ab. Der Funkerberg ist nochmal eine Prüfung, aber sogar der geht noch im Laufschritt.
Über die Lauseberge in Wildau geht es zur Dahme. Einer der schönsten Abschnitte der ganzen Strecke! Wir pausieren noch einmal am Ufer und ich entledige mich meiner Oberbekleidung. Die Wärme schlägt nun voll durch. Die letzten 5 Kilometer sind schwer. Es geht über die Pulverberge über einen trailigen Pfad, ich witzele über die 20 Höhenmeter meines Hausberges. Ich schicke Anni vor, die Uhr schlägt auf die 100km doch wirklich 250m vor meinem Haus um. Es ist ein erhebendes Gefühl, diese Distanz bewältigt zu haben.
Was nehmen aus dem Unternehmen mit? Für die Rahmenbedingungen lief es überraschend problemlos. Ich konnte relativ konstant durchlaufen und schaue dem Mauerweg etwas positiver entgegen. Der Paul-Gerhardt-Weg ist zum Laufen bedingt empfehlenswert, zum Wandern aber mit Sicherheit. Das Fahrrad sollte man unbedingt daheim lassen und sich auch etwas mehr Zeit nehmen, als wir es heute mit den finalen 11:25h getan haben. Gerade im Sommer ist der Weg in Teilen sehr sandig und schwer zu begehen. Das gilt es zu beachten. Der Abschnitt nach Berlin zur Nikolaikirche ist übrigens nicht mehr ausgeschildert, aber der war für mich auch weniger von Bedeutung, da ich den Weg durch die Pendelei ins Büro sehr gut kenne und man auch nicht mehr von einem Wanderweg sprechen kann.
Mein großer Dank geht an Anni, die mich großartig unterstützt hat (und für die 45km Radbegleitung wesentlich härter waren als 55km mit mir zu laufen). Wahnsinn, was du drauf hast, das ist eine ganz andere Liga, in der du spielst und läufst. Wir sehen uns am 13.8. in Berlin, wenn es heißt, nicht 100 Kilometer, sondern 100 Meilen zu bewältigen. Ich freue mich drauf.
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