Seit Anfang November verharren wir wieder im Corona-Lockdown und so war es auch nicht verwunderlich, dass die diesjährige Ausgabe der wunderbaren Brocken-Challenge bereits im Dezember abgesagt wurde. Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Also haben die Twins spontan beschlossen, eine eigene Challenge an diesem 13. Februar des Jahres 2021 zu laufen. Der erste Plan war, die Originalstrecke über die 80km von Göttingen aus zu versuchen. Davon kamen wir aber etwas ab, nachdem die Wettervorhersage unter der Woche mit jedem Tag kältere Temperaturen voraussagte. Wir stiegen auf eine Alternativroute um: vom Nordharz in der Nähe von Goslar sollte der höchste Gipfel Norddeutschlands auf einer 40km-Route back2back bezwungen werden. Und das ohne die bei der Brocken-Challenge sonst so leidenschaftlich und liebevoll gefüllten Verpflegungspunkte. Die Fragezeichen waren aber groß. Als ich die Schneemassen am Freitag nach meiner Ankunft erstmals zu Gesicht bekam, wurde mir schnell bewußt, wie schwer unsere Tour werden würde. Den Weg zu unserer Behausung musste ich mir erst frei schippen und auch die Temperaturen gingen mit jeder weiteren Stunde in den Keller. Als Henrik um 18Uhr den Harz erreichte, war es schon eisig kalt und ohne Bewegung kaum aushaltbar im Freien. Was hatten wir uns da vorgenommen?
Trotz aller Bedenken wollten wir den Versuch um Punkt 6Uhr am Samstag starten. Die Nacht war aber schon so kalt, dass wir kaum schlafen konnten und bereits um 05:00 “fertig zur Abreise” waren. Das Thermometer zeigte -18°C und auch für den Tag sollte es nur ansatzweise in den einstelligen Bereich wechseln. Für das Protokoll: wir hatten jeder 5 Schichten oben an (2x Unterziehshirt, Laufshirt, langes Shirt + Jacke), zwei Buffs, zwei lange Hosen, drei Paar Socken (inkl. langen CEPs), drei Paar Handschuhe (ja, das geht), Spikes, Gamaschen und einen wasserabweisenden Schuh-Überzug über dem Vorderfuß. Im Rucksack hatten wir jeder genug Gels, um zumindest halbwegs den Energieverlust ausgleichen zu können. Auch einen halben Liter Wasser hatten wir am Start, wohlwissend, dass der Verschluß der Softflask mit Sicherheit schnell zufrieren würde. Ach, eine kleine Thermosflasche mit heißem Getränk hatte ich ebenso im Gepäck. Um 05:29 schalteten wir unsere Stirnlampen ein, starteten die Route auf der Uhr und machten uns auf den Weg.
Dieser Weg wird kein leichter sein – das war schon nach den ersten Metern klar. Wir kamen aber zunächst ganz gut ins Rollen. Unser größtes Problem sind unsere kalten Finger bei diesen Temperaturen. Da helfen auch keine 3 Handschuhe. Schon bald hatten wir ständig damit zu tun, die Finger nicht zu Eis werden zu lassen. Und das behindert enorm. Der Weg war zunächst halbwegs geräumt und laufbar. Die Freude hielt jedoch nur kurz an: als wir dann in Richtung Berge abbogen, folgten wir nur noch einer Traktor-Spur und auch diese verschwand an der nächsten Kreuzung. Es ging im Tiefschnee weiter. Die einzigen Spuren im Schnee waren die der Tiere, die über diesen Weg gelaufen waren. Ohne Schneeschuhe kostet es unheimlich Kraft, überhaupt voranzukommen. Von “Laufen” konnte man nicht mehr sprechen. Wir verpassten dann auch den geplanten Abzweig in Richtung Talsperre und irrten weiter nach oben. Auch das war eine Lektion: der Weg war bestimmt da, nur konnte man diesen eben durch den Schnee nicht erkennen. Die Dunkelheit trug ihr Übriges dazu bei.
Als wir dann unter einem umgestürzten Baum durchkletterten, äußerte Henrik erstmals ernste Zweifel an unserer Mission. Und das völlig zurecht, auch wenn ich es noch nicht wahrhaben wollte. Wir kamen einfach nicht merklich voran und der tiefe Schnee nahm kein Ende. Zwar wurde es dann hell und wir bogen auf einen anderen Weg ab, aber auch hier war keine Besserung in Sicht. Schnee, Schnee und wieder Schnee. Nach einer gefühlten Ewigkeit waren wir um das Tal herum und kamen auf einen größeren Weg, der wieder geräumt war. Als wir wieder auf der geplanten Route ankamen, war die Entscheidung bereits getroffen. Über 2,5h hatten wir für 11,5km gebraucht. In dem Tempo hätten wir keine Chance, auf dem Brocken auch nur anzukommen. Und wir mußten ja auch wieder zurück! Das Risiko, im Niemandsland zu stranden und bei den eisigen Temperaturen auf Hilfe angewiesen zu sein, wollten wir nicht eingehen.
Die 8km zurück gingen dann aber problemlos, über meine Streckenplanung konnten wir dann schon wieder schmunzeln. Dann kam auch langsam die Sonne heraus und in meinem Kopf ging es hin und her. Für die 20km sind wir jetzt beide so weit gefahren? Mehr und mehr manifestierte sich, dass es das für den heutigen Tag noch nicht gewesen sein sollte. Also machte ich Henrik bei unserem zweiten Frühstück den Vorschlag, den Aufstieg später nochmal von Bad Harzburg über den Teufelsstieg zu versuchen. Das wären “nur” 12km und die Route hatte ich noch auf meiner Uhr. Wollte ich doch im Herbst den Stieg von Bad Harzburg bis Elend laufen, als dieser noch Teil der FKT-Strecken by myvirtualtrail war. Damals verhinderte eine Sperrung des Eckerlochstiegs mein Unternehmen. Also brachen wir gegen Mittag unsere Zelte ab und fuhren zum Baumwipfelpfad in Bad Harzburg. Dieser ist der Startpunkt des Teufelsstiegs, der bis nach Elend auf der Südseite des Harzes führt. Würde es diesmal klappen, am Brockenstein anzuschlagen?
Kurz nach dem Start liefen wir erstmal dreimal hin und her und fanden die Route nicht. Wie auch – der Schnee hatte den offiziellen Pfad verdeckt. Über einen Umweg waren wir dann aber auf der richtigen Route, die anfangs 300 Höhenmeter nach oben führt. Laufen: unmöglich. Dementsprechend langsam ging es vorwärts. Nach knapp 4km wird es dann aber horizontaler und die folgenden 3km offenbarte sich uns eine traumhafte Winterlandschaft gepaart mit Sonnenschein pur. Wir konnten uns kaum sattsehen an diesen fantastischen Eindrücken.
Über einen kleinen Umweg gelangten wir zur Eckertalsperre, die wir vor 6 Jahren beim Bloggercamp schon einmal passiert hatten. Danach wurde es wieder einmal schwer. Die folgenden 3km bis zum Scharfenstein waren zermürbend. Ständig war man im Tiefschnee und musste mit viel Kraftaufwand die richtige Route finden. Das ging am besten, wenn man in die Fußstapfen der anderen treten konnte. Aber selbst das war mit fortschreitender Zeit eine immense Herausforderung. Unsere “Schuhkonstruktion” war aber ein voller Erfolg: die Füße blieben halbwegs trocken, auch wenn die Spikes im tiefen Schnee kaum etwas ausrichten konnten.
Die Hoffnung auf einen geräumten Weg nach oben hatten wir schon vorher begraben und so kam es dann auch. Am Scharfenstein blickten wir uns nach nunmehr 2,5h in die Augen und entschieden uns, die knapp 4km bis zum Gipfel in Angriff zu nehmen. “Wenn wir schonmal hier sind”, wäre es auch doof gewesen, wieder umzukehren. Und was uns nicht alles entgegenkam: Skifahrer, Snowboarder, sogar Mountainbiker versuchten sich am Downhill des Kolonnenweges. Uns zog es aber erstmal nach oben. 500 Höhenmeter sind auf diesem Stück noch zu überwinden. Und die sind gar nicht das größte Problem. So langsam tat es im Rücken weh, weil man nur damit beschäftigt war, die Schritte richtig zu setzen und so ständig nach unten blicken musste. Wir bekamen sogar etwas Anerkennung für unser Vorhaben. “Ihr geht wirklich noch hoch, oder?”, “Na ihr seid ja schnell unterwegs.” Nun, schnell war sicher Ansichtssache. Zwischendurch musste ich auch noch ein Tief überwinden, das mich etwas an meinen letzten Aufstieg über diesen Weg erinnerte. Nur damals waren es 45° mehr. Unterschiedlicher konnten die Bedingungen gar nicht sein! Als der Sendeturm in Sicht kam, realisierten wir beide, dass es klappen wird mit uns und diesem Brocken. Trotzdem zieht sich der letzte Kilometer hin wie Kaugummi.
Das Setting oben war ein Traum. Ein kilometerweiter Blick in alle Richtungen. Sonne pur. Das entschädigte uns doppelt für unsere kleine Pleite am Morgen. Wir machten das obligatorische Foto am Brockenstein und sahen zu, dass wir wieder runterkamen. Es war klirrend kalt und obwohl ich nicht auf die Uhr schaute, hatte ich das Gefühl, dass es knapp werden könnte, um noch im Hellen unten wieder anzukommen.
Der Downhill bis zum Scharfenstein ging überraschenderweise richtig gut. Das hätte ich beim Aufstieg nicht für möglich gehalten. Ein bißchen Risiko war vertretbar, zumal man beim Sturz immer weich gefallen wäre. Aber es ging tatsächlich alles gut. “Ihr seid ja verrückt!” schallte es, als wir die Wanderer überholten. So richtig falsch war diese Einschätzung wohl nicht. Aber wir wußten, bis zur Eckertalsperre ist es mühselig. Zum Glück hatten die Skifahrer den Schnee etwas platter gefahren und es war nicht mehr ganz so heftig wie auf dem Hinweg. Als wir endlich über die Talsperre liefen, war die Sonne bereits untergegangen. Also mussten wir etwas auf die Tube drücken. Es folgten bis zum Ziel die meisten Laufkilometer des Tages. Wir wählten am Ende den etwas längeren aber laufbaren Fahrweg, über die Hinroute wären wir nicht mehr im Hellen angekommen. Die Stirnlampen hatten wir am Mittag im Auto liegen lassen.
Erleichtert kamen wir am Baumwipfelpfad an und waren sehr glücklich über den Verlauf des Tages. Insgesamt 47km mit 1350 Höhenmetern standen zu Buche. Dass wir dafür satte 9,5h benötigt haben, sagt eigentlich alles über den Schwierigkeitsgrad dieses Unterfangens. Haben wir das Ganze unterschätzt? Ja und nein. Die schwierige Navigation und die eiskalten Temperaturen waren die Knackpunkte beim ersten Versuch. Im Nachhinein war es aber die vernünftige und richtige Entscheidung, den Lauf “so früh” abzubrechen. Der zweite Versuch hat uns dann für alles entschädigt und war das i-Tüpfelchen auf einen Wahnsinns-Tag zusammen in den wunderschönen Bergen. Auf unsere ganz persönliche Brocken-Challenge.
Sehr schöner Bericht und krasse Bilder. Wahnsinn, dass ihr das durchgezogen habt. Aber so kennen wir euch ja.
Auf ein schönes Laufjahr und bleibt gesund.
Gruß Erik
Episch war’s! Reicht dann aber auch für die nächsten 10 Jahre mit zweistelligen Minusgraden und einem Meter Schnee im Mittelgebirge. Freue mich schon, die Harzer Strecken bei sommerlichen Temperaturen zu laufen.